10.12.2008

Weihnachten 2008


Liebe Geschwister,
liebe Schwägerinnnen und Schwager,
liebe Freunde,

Dieses Weihnachten fällt es mir wahrlich schwer den obligatorischen Weihnachtsbrief zu schreiben. Eigentlich möchte ich lieber das Jahr 2008 ausfallen lassen, wenn das ginge. Es war für uns ein schlimmes Jahr und gerade jetzt um die Advents- und Weihnachtszeit schmerzen mich die Erinnerungen an dieses Jahr ganz besonders.

Die grüne Kerze brannte während der Zeit als Gisela im Koma lag. Sie stand an Giselas Platz, wenn ich einsam in der Küche am Tisch saß. Zeichen der Hoffnung sollte sie sein. So wie damals, als nach dem Krieg Frauen Kerzen in die Fenster gestellt hatten, als Zeichen der Hoffnung für ihre vermissten Männer und Söhne. Mich schmerzt es, dass ich jetzt, in der Zeit der Lichter, keine Kerze der Hoffnung für Gisela ins Fenster stellen kann. Sie wird nie wieder kommen. Dieses „nie wieder“ ist so grausam, dass ich es kaum ertragen kann. Was würde ich dafür geben, wenn ich auf eine Intensivstation gehen oder nach Kipfenberg fahren könnte um sie dort zu besuchen, ihre Stimme zu hören, gemeinsame Zeit mit ihr zu haben ... Hoffnung haben könnte, dass alles wieder gut wird.

Ich schreibe das unter Tränen, denn es wird nie wieder sein. Ich vermisse sie, ihr fröhliches Wesen, ihre klare Art, ihre scheinbare endlose Liebe zu mir und denen die sie geliebt hat. Trotzdem, die grüne Kerze der Hoffnung brennt. Sie brennt als Zeichen der Hoffnung, die aus meinem Glauben und dem Glauben der Christen ihre Nahrung hat, dass unsere Verstorbenen leben - nicht nur in unseren Fotos und Erinnerungen. Sie lebt, weil Jesus es den Seinen versprochen hat: „Ich lebe und ihr sollt auch leben“ Johannes 14,19. Wie oft habe ich dieses Wort in diesem Jahr an Gräbern ausgelegt und damit Menschen getröstet. Darum möchte ich es auch mir zum Trost sagen, was in dem sich nun neigenden Jahr Jahreslosung war: Jesus Christus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben. Gisela lebt! Sie lebt, so wie sie sich das gewünscht hat, beim Vater im Himmel und sie wartet dort auf mich, so wie sie mir das kurz vor ihrem Tod versprochen hat. Ich freue mich auf das Wiedersehen mit ihr.

Wie gesagt: der Rückblick auf 2008 ist für mich voller Schmerzen und hat mich oft an meine eigenen Grenzen geführt. Wiederholt wurde ich vom Notarzt mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht, weil mein Herz wohl spürte wie es mir ging und nicht mehr im Takt bleiben wollte.

Doch es geht weiter, das Leben bleibt nicht stehen auch wenn wir trauern und vermissen und keinen Schritt weiter nach vorne sehen wollen als den heutigen, höchstens den morgigen Tag. Alle Zukunftspläne für den Ruhestand, den ich in drei Jahren erreicht haben will, sind geplatzt. Ich weiß nicht wie es weitergeht.

Dankbar bin ich für Holger, Elisabeth und die drei lieben Enkelkinder. Sie sind ein Geschenk, ein Ort wo ich hingehöre. Dankbar bin ich auch für Cristin, die mir in den schweren Stunden nahe war und nahe ist. Dankbar bin ich für meine Geschwister, die sich auch in den letzten Wochen immer wieder erkundigt haben und mir nahe waren. Dankbar bin ich für meine Kollegin Ute, die mit mir um Gisela geweint und sie beerdigt hat; und still meine Arbeit mitmachte, wenn ich nicht mehr konnte, weil es bei Gisela auf Messers Schneide stand oder Gisela mich brauchte um wieder Mut zum Leben zu finden, als es ihr so furchtbar schlecht ging. Leider sieht das Ende anders aus als wir uns das gewünscht und erhofft hatten - Gisela ist beim Vater im Himmel. Dort hat sie es gut, all ihre Krankheiten und Schmerzen sind geheilt.

An Weihnachten hat es begonnen mit dem Kind in der Krippe, was dann am Kreuz vollendet und vollbracht wurde und in den Sieg an Ostern gemündet ist. Das will ich auch in diesem Jahr feiern, wie alle Jahre zuvor.

Ich wünsche mir und euch ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein bewahrtes Neues Jahr 2009
Gott segne euch
Euer
Siwo

13.08.2008

Nachruf auf Gisela


Nachruf

Gisela war ein ganz besonderer Mensch, trotz ihrer oder vielleicht auch gerade wegen ihrer schweren Sehbehinderung. Ihre Fröhlichkeit und immer anderen Menschen zugetan sein, war ein ganz besonderer Wesenszug von ihr. Sie war ein warmherziger Mensch mit einem großen, gläubigen Herzen, das lieben konnte wie kein zweiter.

Dabei hatte sie kein leichtes Leben. Sie wuchs bei ihrer Großmutter auf, die sie sehr geliebt hatte. Nach deren Tod kam sie in die Blindenschule in Nürnberg, lebte dort im Internat. Hier kümmerte sich besonders der Bruder Gebhard um sie, der vor wenigen Wochen in die Ewigkeit abgerufen wurde. Wichtig war für sie und ihre Entwicklung eine Rotkreuzschwester, die in der Blindenschule als Erzieherin gearbeitet hatte: Schwester Herta. Zu ihr hielt das ganz persönliche, fast mütterliche Verhältnis, über viele Jahre bis zu deren Tod. Nach Abschluss der Schule und der Telefonistenausbildung kam sie als Telefonistin nach Rummelsberg. Dort lernten wir uns kennen und lieben. Nach fünf Jahren heirateten wir, kurz vor Weihnachten 1972. Unser gemeinsames Kind wurde ein Jahr später geboren: Holger. Ein wunderbares Kind, von ihr geprägt und mit unglaublicher Liebe aufgezogen.

Sie hat in ihrem Leben viel Krankheitsnot erdulden und ertragen müssen, schwere Operationen, Asthma. Anfang des Jahres musste sie eine besondes schwere Herzoperation über sich ergehen lassen. Ursprünglich sollte eine Herzklappe erneuert werden, während der Operation wurde ein angeborener Herzfehler entdeckt und so dauerte die Operation viele, viele Stunden mehr als ursprünglich geplant. Nach der Operation lag Gisela sechs Wochen im Koma. Während dieser Zeit war sie mehr als einmal dem Tode näher als dem Leben. Aber Gott hat Wunder über Wunder geschehen lassen. Anschließend kam sie in eine Rehaklinik nach Kipfenberg, wo sie ein viertel Jahr war und alles wieder lernen musste: Schlucken, Sitzen, Gehen. Sie war so ausgezehrt, dass sie nur noch 38 kg wog.
Optimistisch und voller Freude am neu gewonnenen Leben kam sie Anfang Juni nach Hause. Stück für Stück eroberte sie sich das Leben zurück. Sie war noch empfindsamer geworden und in ihrer Zerbrechlichkeit noch bezaubernder als je zuvor.

Fünf Wochen waren uns nochmals vergönnt. Eine intensive und liebevolle Zeit. Am vergangenen Sonntag (10.8.) musste sie eine erneute Herzoperation über sich ergehen lassen um ihr Leben zu retten. Sie wusste aber, dass sie das nicht mehr überleben wird. Am Abend vor ihrem Tod nahmen wir auf der Intensivstation von einander Abschied. Sie stutze plötzlich im Gespräch und sagte dann zu mir: “Jesus hat mich gerade gefragt, ob ich nicht zu ihm will - doch, doch, doch! hab ich ihm gesagt.”

Gisela hatte einen riesengroßen Bekannten- und Freundeskreis. Wer bei ihr sein Herz ausgeschüttet hat, das kann ich nur ahnen, es blieb bei ihr verschlossen. Sie nahm sich für jeden Zeit und hat viele Menschen aufgerichtet und getröstet und - das war ihr ganz besonders wichtig - in ihr persönliches Gebet genommen.

Ihr Leben war von einer unglaublichen Klarheit durchzogen. Da gab es kein Hintenrum, kein falsches Spiel, kein übles Nachreden. Oftmals aber ein weises Schweigen. Mit großer Beharrlichkeit verfolgte sie ihre Ziele, von denen das wichtigste war: Am Ende des Lebens bei Gott zu sein.

Eines ihrer Lieblingslieder stammt aus der CD Entdeckungen, Lieder von Peter Strauch, mit Heike Barth und dem ERF Studiochor. Dort heißt es im Refrain des Liedes:
Wir werden sein wie Träumende,
die noch nicht fassen, was sie sehn.
Wir werden lachen und glücklich sein,
wenn wir vor Jesus stehn.
Das hat sie als Ziel ihres Lebens ersehnt. Sie darf es jetzt schauen.

31.07.2008

Radio F - Zeit ist kostbar

Zeit ist kostbar. Wenn wir diese Worte hören, dann fällt uns ein, dass möglichst vieles in kürzester Zeit erledigt werden muss. Arbeitszeit ist kostbar und teuer. Aber auch im privaten Bereich geht es uns nicht viel besser. Zu nichts haben wir richtig Zeit. Es wächst uns über den Kopf, nach der Arbeit noch der Haushalt, die Kinder, jeder will was anderes von uns. Ja, Zeit ist kostbar, sie ist knapp geworden.

Als meine älteste Enkelin noch ganz klein war, setzte ich mich oft hin und sah ihr stundenlang zu. Das kleine Kind, wie es sich mit sich selbst beschäftige und ganz zufrieden in seinem Bettchen lag. Das war für mich kostbare Zeit. Noch viel kostbarer waren die drei Stunden jeden Tag, in denen ich meine Frau auf der Intensivstation besuchen durfte. Am Bett sitzen, die Hand halten, bangen und hoffen auf den Tag, an dem sie aus dem Koma aufwachen kann. Mir wurde bewusst, wie kostbar die Zeit ist, die wir mit unseren Lieben verbringen dürfen und wie achtlos wir oft mit dieser geschenkten Zeit umgehen.

„Was hätte ich dir noch alles sagen wollen“, brach es vor kurzem aus einer 18-jährigen heraus, als sie am Totenbett ihres überraschend verstorbenen Vaters stand. Ja, was versäumen wir uns zu sagen? Das gute Wort, dass wir uns lieben und für einander wichtig sind. Die roten Rosen auf dem Sarg können vielleicht unser schlechtes Gewissen beruhigen aber sie bringen die kostbare Zeit mit dem geliebten Menschen nicht mehr zurück.

Radio F - Krankheit

Manchmal bricht sie von einer Minute auf die andere über uns herein: Eine schwere Krankheit. Wir haben geahnt, dass etwas in uns nicht in Ordnung ist. Wir haben es von uns weggeschoben, verdrängt. Dann doch der Weg zum Arzt, der Verdacht, die Diagnose.

Wohin mit unserer Furcht vor all den Untersuchungen? Wer wird mir beistehen, meine Ängste verstehen, aushalten und mit mir ertragen? Wer wird mich halten, wenn ich selbst jede Sicherheit in mir verloren habe? Wo soll ich hin mit meiner Angst, mit meinen Tränen und der Trauer darüber, dass ich nicht weiß ob ich jemals wieder gesund werde? Schreien möchte ich, es laut hinausschreien, meine Angst, das Gefühle des Verlorensein, meine Verlassenheit. Ich fühle, dass mein Leben nie mehr so sein wird, wie es war. Ich kann nicht darüber sprechen, ohne den Klos im Hals zu spüren und die Tränen, die mich gleich übermannen werden.

Wie kann ich lernen, das Unvermeidbare für mich anzunehmen? Gibt es einen Sinn für das was ich jetzt durchmache? Ich fühle mich unendlich zerrissen und zerfallen in meiner Seele. Wie kann ich mich selbst wieder finden? Kann mir mein Glaube helfen, mein Glaube an den Gott, der mich gewollt hat und der mich liebt? Wird er mich Durchtragen, wenn ich an die Grenzen meines Lebens und dessen was ich ertragen kann stoßen werde? Ich möchte mich daran festhalten, dass Jesus zu mir sagt: Fürchte dich nicht! Ich bin bei dir!

Radio F - Hören

Was machen wir, wenn wir bemerken,, dass unser Gehör langsam aber beständig nachlässt? Zum Arzt gehen? Hörgeräte tragen? Ach was, das geht schon noch, denken wir und fangen an zu verstecken, dass wir nicht alles verstanden haben. Immer schön lächeln und mit dem Kopf nicken, wenn uns jemand anspricht, dann merkt es der andere nicht.

Bei meinen Besuchen im Altenheim oder in der Gemeinde beobachte ich immer wieder, dass es einen Lieblingsplatz für Hörgeräte gibt: Die Nachttischschublade. Eigentlich gehören die kleinen Wunderdinger in die Ohren, aber dort liegen sie gut und man spart außerdem die teuren Batterien

Leider werden die Folgen oft nicht so recht bedacht. Durch schlechtes Hören, werde ich immer isolierter. Ich kann immer weniger Anteil daran nehmen, was um mich herum vorgeht.

Immer öfter fühle ich mich unverstanden, weil andere nicht verstehen was ich meine. Sie denken, dass ich wahrscheinlich meinen Verstand verloren habe. So dumm erscheinen meine Antworten und so gar nicht bei der Sache meine Fragen. Dabei funktioniert mein Verstand, nur die Ohren nicht.

Mein Rat: Verstecken Sie ihre Schwerhörigkeit nicht. Sagen sie: „Ich höre nicht gut. Bitte sprechen Sie langsam und deutlich mit mir und schreien sie mich bitte nicht an!“ Nehmen sie mit Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen Kontakt auf. Zum Beispiel mit der Schwerhörigenseelsorge. Dort werden sie erfahren, wie sie kompetent und selbstbewußt mit ihrer Hörbehinderung umgehen können.

Radio F - Die Macht des Fehlenden

Otto Funcke erzählt in seinen Lebenserinnerungen, dass er, als er zehn Jahren alt war, wegen einer schweren Krankheit nicht zur Schule gehen durfte. Er wäre so gerne mit den anderen Kindern gegangen. So beneidete er alle anderen Kinder, wenn sie morgens mit ihren Schultaschen vorüber kamen. Die Kinder beneideten ihn, dass er nicht in die Schule musste, sondern zu Hause bleiben durfte.

Wir erleben es auch an uns: Was wir nicht haben können das zieht uns an. Es scheint besonders verlockend. Der Eine sehnt sich nach einer Partnerschaft und der Andere neidet die Freiheit des Ledigen. Wie gerne möchte er aus der Ehe heraus.

Irgendwie hat uns die Unzufriedenheit immer im Griff. Wir sehen gebannt auf das was uns fehlt, maulen und nörgeln, jammern und neiden.

Vor lauter Unzufriedenheit vergessen wir, auf das voller Dankbarkeit zu sehen, was wir haben. Dabei sind wir reich beschenkt - trotz allem was uns zu fehlen scheint. Vielleicht sollten wir es wagen, eine andere Blickrichtung einzuschlagen. Ich glaube nicht, dass die Unzufriedenheit unser Leben zum Guten hin verändert, sondern die Dankbarkeit, die unser Herz mit Freude und Frieden füllen kann. Als Christen haben wir allen Grund zur Dankbarkeit, denn unser Leben ist immer in einem guten Plan Gottes geborgen – auch wenn es manchmal ganz anders aussehen mag und wir nicht verstehen, was gerade in unserem Leben vorsich geht.

Radio F - Der ängstliche Hund

Ich hatte am vergangenen Wochenende Besuch von einem sehr guten Freund.
Er kam mit seiner Hündin Ella. Die beiden sind nun schon seit drei Jahren zusammen.

Ich habe mich sehr gefreut die beiden zu sehen und wir verbrachten an diesem Wochenende viel Zeit mit Laufen in der Natur.
Dabei ist mir aufgefallen, wie mein Freund mit seiner Hündin umgeht. Er spricht ganz ruhig mit ihr, er ruft sie und er führt sie.
Oftmals hatte ich das Gefühl, ich müsste jetzt eher in strengen Ton was sagen, damit sie nicht auf die Straße läuft oder sonst was passiert. Ich war oftmals ängstlich, aber mein Freund, der sprach ganz ruhig mit Ella.

Am zweiten Tag erzählte ich ihm von meinen Beobachtungen. Da sagte er ganz ruhig zu mir: “Warum soll ich streng mit ihr sein? Du siehst doch, das sie auf mich hört. Du musst wissen, sie ist eher ein ängstlicher Hund und wenn ich mit ihr streng werden würde, dann bekäme sie nur noch mehr Angst. Und das will ich nicht. Sie ist ein guter Hund.“

Mich hat das sehr berührt und jetzt fällt mir noch mehr auf, wenn ich dazu neige streng zu werden. Das war ein gutes Wochenende für mich.

Diese Geschichte, hat eine gute Freundin aufgeschrieben. Sie hat mich nachdenklich gemacht. Ruhig bleiben. Ruhe ausstrahlen, besonders dann, wenn wir fürchten, dass etwas passieren könnte. Ruhe vermitteln, die dem anderen Sicherheit überträgt mit dieser Situation zurecht zu kommen. Mit Strenge vermitteln wir vielleicht eher das Gefühl nicht genügen zu können und lösen damit Angst und ein Gefühl der Unsicherheit aus.

19.05.2008

Predigt zum 1. Sonntag nach Trinitatis - Höre Jisrael

5. Mose 6, 4-9

Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

Sch'ma jisrael adonaj elohenu adonaj echad ...

Ihnen kommen diese Worte fremd vor. Es ist die Sprache anderer. Jede Jüdin, jeder Jude versteht die Worte sofort. Woran liegt das? Die Antwort ist einfach. Sie steht im Predigttext: „Sch'ma jisrael. Höre, Israel!“ Israel wird angesprochen. Die Adressaten kennen und verstehen die Worte des Lebens. Sie beten sie mindestens zweimal am Tag. Sie beginnen mit ihnen jeden neuen Tag. Schließen mit ihnen jeden Tag ab. Sprechen diese Worte in der Stunde des Todes. Kommen an ihnen nicht vorbei, weil sie an jeder Türöffnung zu Hause und in der Synagoge angebracht sind.

Es sind Worte an Israel; wie können wir ihnen begegnen? Man kann, ja muss die Worte umformulieren, damit sie uns gelten: „Höre von Israel!“ Wir begegnen den Worten im Lebenszeugnis von Jüdinnen und Juden. Von ihnen zu hören, das ist die einzig mögliche Haltung zu diesen Worten.

Hören, nicht reden. Wir haben nicht zu reden über Juden, dafür haben wir ihnen zu viel angetan mit der Schoah, mit den Greueltaten und Qualen. Mit dem fabrikmäßig durchgeführten Massenmord an 6 Millionen Juden, durch das nationalsozialistische Regime von 1933-1945. Wir können aber auf das hören, was wir von Israel erfahren.

Was können wir erfahren, wenn Israel zu uns spricht? Was können wir erfahren, wenn wir hören? Schon das Kind im Mutterleib kann seine Mutter wahrnehmen. Ihr Herzschlag wird wohl das erste Signal sein, das es hört. Dann, draußen, die Stimme der Mutter, des Vaters, die Geräusche der Umwelt. Der Säugling, beginnt durch Hören zu kommunizieren. Später kommt die Erfahrung von Bewegung, ja von Berührung hinzu – lange, bevor das Kind das Licht der Welt mit seinen Augen erblickt.

Hören, so sagt man, ist vielleicht auch die letztmögliche Sinnerfahrung eines Menschen, wenn er stirbt. Selbst dann, wenn er scheinbar nicht mehr hört, wenn seine Sinne schon geschwunden sind, zeigt er Reaktionen; plötzliches tiefes Ein- und Ausatmen, plötzliche Unruhe, plötzlich weit geöffnete Augen, die vielleicht sogar das Gegenüber fixieren, weil eine Stimme von außen die tiefe Nacht des Sterbeprozesses durchdrungen hat und wahrgenommen wurde.

Hören können ist ein Geschenk. Es ist eine erstaunliche Entwicklung die ein Kind durchmacht. Lange bevor es sprechen kann, hört und versteht es allmählich was gesagt wird. Es lernt zu sprechen und die Fülle der Erfahrungen zu verarbeiten und zu leben.

Das jüdische Kind hört von früh an die markanten Sätze des Schma Jisrael, in dem es ja heißt: „Diese Worte sollst du dir zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden ...“ Eine jüdische Legende macht uns anschaulich, wie Juden darüber denken.

Ein Rabbiner durchquerte ein Dorf, ging in den Wald und dort, am Fuße eines Baumes betete er. Und Gott hörte ihn. Auch sein Sohn durchquerte dieses Dorf. Er wusste nicht mehr, wo der Baum war und betete also an irgendeinem Baum. Und Gott hörte ihn.

Der Enkel des Rabbiners wusste weder, wo der Baum war noch wo der ganze Wald war. Er ging zum Beten in das Dorf. Und Gott hörte ihn. Der Urenkel wusste weder, wo der Baum war noch der Wald noch das Dorf. Aber er kannte noch das alte Gebet. So betete er zuhause. Und Gott hörte ihn. Der Ururenkel schließlich kannte weder den Baum noch den Wald noch das Dorf noch das alte Gebet. Er kannte aber noch die Geschichte und erzählte sie seinen Kindern. Und Gott hörte ihn[1].

Wir können aus dieser Legende lernen, wie wichtig es ist, dass Gott uns hört und unsere Kinder die Geschichten ihrer Väter und Mütter im Glauben an Gott hören. Unsere Kinder hören schon in jungen Jahren Dinge, die sie besser nicht gehört hätten, weil sie damit ihre junge und verletzbare Seele belasten. Darum sollten wir ihnen unbedingt das sagen und für ihren Lebensweg mitgeben, was Halt und Orientierung sein kann: „Es gibt einen Gott, auf dessen Namen du getauft bist. Ein Gott der dich liebt und dessen Wille es ist, dass du auch deinen Nächsten liebst“. Damit das unseren Kindern ins Herz gezeichnet wird, muss es uns ein Anliegen und heilige Pflicht sein, mit unseren Kindern am Morgen und am Abend zu beten. Wie sollen sie denn sonst die Worte von Gott hören und behalten? In meiner letzten Konfirmandengruppe war nur ein einziges Mädchen das sich daran erinnern konnte, dass mit ihm gebetet wurde, wenn es zu Bett gebracht wurde.

Warum erzählen wir unseren Kindern und Enkeln nicht die biblischen Geschichten oder lesen ihnen aus einer Kinderbibel vor? „Diese Worte sollst du dir zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden ...“ So heißt es im jüdischen Schma. Aber wir sind hier in Deutschland so seltsam stumm und erzählen ihnen nicht von unserem Glauben. Religion ist Privatsache. Man schämt sich darüber zu reden – nicht nur im öffentlichen Bereich, leider auch im privaten der Familie.

Unsere Kinder lernen, indem sie hören. Unsere Kinder kommen zum Glauben, indem sie von Gott hören. Und unsere Kinder lesen genau in den Erwachsenen, wie Gott ist. Dort hören sie wie über Gott und Glaube gesprochen wird, wie über Kirche und Gemeinde geschimpft und gelästert wird – sie lesen auch in den Erwachsenen wenn über Gott, Kirche und Gemeinde geschwiegen wird.

Das Gehörte, das immer wieder Gehörte prägt sich tief in uns ein. Über Jahrhunderte hat das Hörenkönnen den christlichen Glauben überliefert. Und das Gehörte meldet sich zu Wort, wenn es gebraucht wird: In Notzeiten, in Freudenstunden, in der Erziehung, beim Trösten. Das Hören ist für den Glauben entscheidend.

Paulus sagt: „Der Glaube kommt aus der Predigt, das Predigen aber aus dem Wort Gottes“.[2] Der Glaube kommt durch das Hören. Höre Jisrael! Wer Ohren hat zu hören, der höre! Ja, wo ist unsere Gemeinde? Hört sie? Ist sie unter dem Wort, um zu hören? Ich sehe viele leere Kirchenbänke – wie soll der Glaube unserer Gemeinde wachsen, wenn sie nicht zum Hören kommt?

Hören ist Geschenk. Wer nicht, oder nur sehr schwer hören kann, dem wird das verzweifelt deutlich. Wenn Hören ein Geschenk ist, bedarf es eigentlich keiner Aufforderung, die Ohren aufzumachen. Aber wer hört heute schon gerne zu, nimmt das Geschenk des Hörens mit Freuden wahr? Heute hat das Sehen Vorrang. Die Flut von Bildern, die überall unsere Wahrnehmung überschwemmt, lässt sich kaum eindämmen. Sie besetzt das Gehirn, verbraucht die Kapazität der Aufnahmefähigkeit und nimmt dem Hören viele Chancen. Und wo dem Hören noch Raum bleibt, da wird es vielfach zugedröhnt.

Die Juden haben die Aufforderung „Höre!" in ihren Türlaibungen angebracht, als wüssten sie um die Gefährdung des wunderbaren Geschenkes, hören zu können. Und Jesus hat wohl wissend um dieses Problem tiefsinnig den Satz geprägt: Wer Ohren hat, der höre! Bis in die Offenbarung des Johannes hinein klingt dieser überhaupt nicht oberflächliche Satz nach. Die Gefährdung des Hörens und damit des christlichen Glaubens heute liegt auf der Hand. Letztlich kann nur durch das Hören auf Gottes Wort unser Glaube wachsen, reif und stark werden.

Gottes Stimme spricht leise zu uns. Nicht aufdringlich, sondern behutsam. Es braucht Zeit und Ruhe, damit wir seine Stimme hören. So wie jetzt hier, in unserer Kirche. Alles Laute ist draußen geblieben und wir hören. Auch ich höre, wenn ich predige. Ich höre in mich hinein. Vorher hab ich am Schreibtisch gesessen und gehört. Mit viel Zeit. Mit viel Ruhe. Und jetzt hören wir gemeinsam. Wer Ohren hat zu hören, der höre.

Hören, Zuhören ist eine Kunst, die gelernt und geübt werden will. Richtig zuhören, nicht schon wissen, was der andere sagen will, bevor er richtig angefangen zu reden. Ich denke wir haben die Kunst des Zuhörens vielfach verlernt. Wir können sie lernen von Israel.

Höre Israel! So beginnt es bei den Juden: In der Familie sitzt der Vater am Tisch, es ist Sabbat. Und er entzündet eine Kerze. Und dann fängt er an zu erzählen. Er erzählt die Geschichte vom Auszug aus der Knechtschaft in Ägypten, von der Befreiung durch Gott, der auch heute immer noch befreit.

Wer Ohren hat, zu hören, der höre. So könnte es auch in unseren Häusern wieder beginnen. Am Kinderbett abends sitzen Mutter oder Vater, Großmutter oder Großvater, es wird still, und vor dem Abendgebet beginnt das Erzählen. Vielleicht so: Jesus steht am Rand des goldgelben Kornfeldes. Die Ernte ist nah. Hinter ihm glitzert das Wasser des großen Sees. Eine große Menschenmenge hat sich versammelt, ganz in seiner Nähe sind seine Jünger, die immer mit ihm gehen. Alle wollen ihn hören. Noch schweigt er, hat den Kopf in seine Hand gestützt und schaut über das reiche Kornfeld, das im Wind leise schwingt. Vielleicht denkt er: So viele Körner, so viel Brot! Und doch so viel Hunger unter diesen Menschen, Hunger nach Brot, Hunger nach Liebe, Hunger nach einem guten Wort, nach Heilung von einer Krankheit, Hunger nach Gott.

Plötzlich beginnt er: ,Hört zu! Gott schenkt so viel, dass alle satt werden können. Ich sage es euch, und ihr hört es jetzt. Aber mit dem Hören ist das so: Stellt euch einen Sämann vor: im Frühjahr geht er mit großen Schritten über den leeren Ackerboden; er hat ein großes Tuch vor dem Bauch, vollgefüllt mit goldenen Saatkörnen, und mit der rechten Hand streut er nun den Samen aus, damit ein goldenes Kornfeld heranwachse. Und einige Körner fallen auf den Weg und die Vögel kommen und picken alles weg. Andere fallen auf felsigen Boden mit wenig Erde, sie können nicht tief wurzeln. Schnell geht die Saat auf, zu schnell, und als die brennende Sonne aufgeht, verwelken die Pflänzchen und verdorren. Einige Körner fallen in das Dornengestrüpp, das wächst und wächst und erstickt die aufkeimende Saat. Andere Körner fallen auf gutes Land, gehen auf, wachsen und bringen viel Frucht: aus einem Korn werden dreißig, sechzig, ja hundert neue Körner, die sich in ihrer Ähre nun im Wind wiegen. Ihr seht es hier. Ich sage es noch mal zu euch: Wer Ohren hat zu hören, der höre:'

Ein Raunen geht durch die Menge der Menschen, denn viele haben zugehört und verstanden." Und die Mutter streichelt dem einschlafenden Kind über den Kopf ...

Geheimnisvolle Geschichten hat Jesus erzählt, liebe Gemeinde. Und bis heute lüften sie ihr Geheimnis auf ebenso geheimnisvolle Weise: dem Hörenden wird der Glaube geschenkt. Amen.


[1] Axel Kühner, Das große Textarchiv 1355

[2] Römer 10,17

16.04.2008

Predigt zum Sonntag Kanate 2008

Predigt Offenbarung 15,.2-4

Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwerstern und Brüder in Christus,

am vergangenen Sonntag haben sie wieder gesungen, die Fans des FC Bayern. 5:0 gegen Dortmund, das war Grund zur Freude, Grund zum Singen: Lieder, um die eigene Mannschaft anzufeuern, Lieder um den Gegner zu demoralisieren. Lieder, welche die eigene Freude ausdrücken und eine gewisse Stimmung verbreiten. Aus dem Stadion wird nicht zuletzt durch den Gesang ein, wie man so sagt, emotionaler „Hexenkessel“.

Vor zwei Wochen hatten wir hier, in dieser Kirche, Konfirmation. Das Gotteshaus war gesteckt voll. Ein ständiger Geräuschpegel begleitete das große Fest unserer jungen Leute. Es war nie still im Raum. Viele fühlten sich dadurch gestört. Eigentlich eine beschämende Veranstaltung, obwohl alles mit soviel Liebe vorbereitet und hergerichtet war. Gesungen hat kaum jemand. Vielleicht die Pfarrerin, der Diakon und die Konfirmanden – ein paar Gemeindeglieder, vielleicht. Aber der Mund hat sich bei vielen bewegt, ohne Ende, nicht zum Gesang, sondern zur Unterhaltung. Gut, singen kann man nicht befehlen. Das muss von innen heraus kommen. Singen drückt eine bestimmte Stimmungslange aus. Singen ist Teil meiner Begeisterung und meiner Befindlichkeit. Singen kann Ausdruck guter Laune sein aber auch der Trauer. Nicht umsonst gibt es fröhliche Lieder – aber auch ganz traurige. Wer traurig ist und Probleme hat, dem fällt es schwer, ein fröhliches Lied anzustimmen. Es kommt ihm eher die alte Leier über die Lippen, von dem was belastend ist.

Unser heutiger Sonntag heißt Kantate, zu deutsch: Singet! Singet! Ein Befehl. Den Befehl zu singen gibt es nur bei Militär: Ein Lied, zwei, drei!

Unser heutiger Sonntag fordert uns auf, Gott zu Ehren zu singen. Gott zu Ehren einen Lobpreis zu singen. Ein Lied, das Gott lobt und ehrt. Das Singen muss ja gar nicht musikalisch perfekt sein, aber es muss sich Luft machen, dass ich mich über Gott freue und ihm zu danken möchte. Wie soll ich ihm denn danken, meine Worte sind doch viel zu schwach, zu alltäglich, zu gewöhnlich, abgegriffen. Mit meiner Singstimme kann ich das Lob Gottes aber um ein mehrfaches lauter in die Welt hinausschreien, als mit meiner Sprechstimme. Mit der Musik lässt sich viel mehr ausdrücken, als durch Worte. Aber wir bleiben oft so seltsam stumm! Auch hier im Gottesdienst, wenn dran ist, Gott ein Lied zu singen. Lieber begeben wir uns in die Rolle des Zuschauers, anstatt uns aktiv am Lob Gottes zu beteiligen.

Dabei ist Singen eine wunderbare Gabe Gottes, welche die babylonische Sprachverwirrung aufheben kann, eine Gabe, die uns verändert. Singen verändert unsere Befindlichkeit unsere Psyche und ist auch aus medizinischer Sicht gesund. Gasaustausch und Stoffwechsel werden angeregt. Durch Singen steigert sich unser Wohlbefinden, wir werden beschwingt, Lasten fallen ab, es geht uns gut. Und wenn wir zum Lobe Gotttes singen, dann spüren wir, wie sich auch unser Verhältnis zu Gott ändert. Gott wohnt im Lobpreis. Mit unserem Lobpreis kommen wir direkt vor den Thron Gottes, spüren seine Gegenwart und Nähe. Alles in uns ist angesprochen. Unser Reden unser Schwätzen, in den Gottesdiensten wird viel geschätzt, auch von Pfarrern, wirkt oft belehrend und spricht nur unseren Kopf an, weniger unsere Gefühle.

Singen hat wundersame Kraft und kann tief in unseres Innerstes eindringen. Wir erleben das auch immer wieder an Sterbebetten, wenn Menschen am Ende ihres Lebens angekommen sind.

Ich habe immer wieder mal an einem Sterbebett, im Angesicht des Todes zu singen begonnen:
1. Christus, der ist mein Leben,
Sterben ist mein Gewinn;
ihm will ich mich ergeben,
mit Fried fahr ich dahin.
Philipper 1,21
2. Mit Freud fahr ich von dannen
zu Christ, dem Bruder mein,
auf daß ich zu ihm komme
und ewig bei ihm sei.
4. Wenn meine Kräfte brechen,
mein Atem geht schwer aus
und kann kein Wort mehr sprechen:
Herr, nimm mein Seufzen auf.
6. Alsdann laß sanft und stille,
o Herr, mich schlafen ein
nach deinem Rat und Willen,
wenn kommt mein Stündelein.
7. In dir, Herr, laß mich leben
und bleiben allezeit,
so wirst du mir einst geben
des Himmels Wonn und Freud.

Wenn wir singen, dann einkehrt Frieden ein. Dann dringen die Worte in die Herzen, sind Balsam für unsere Seele und Stärkung in der Todesangst. Plötzlich kehrt auch in einem Sterbezimmer Frieden ein. Dann gehen die Türen zum Himmel auf und lassen uns ahnen, was auf den, der in Kürze unsere Welt verlassen will, wartet – die Freude bei Gott zu sein und in seinem Frieden ruhen zu dürfen. Singen, ist ein Geschenk Gottes, das Sprachen und Kulturen und oft auch unsere Trostlosigkeit und Angst überwindet.

Liebe Gemeinde, schauen Sie, unsere kleinen Kinder an. Sie singen gerne und mit Begeisterung, zu Hause oder in den Kindergärten. Sie singen, wenn sie ganz versunken spielen, sie singen und wir fühlen, dass sie mit sich im Einklang sind, und es ihnen gut geht.

Wie heißen unsere Lieder? Was ist ihr Inhalt? Sind es Spottlieder auf andere oder Lieder, die bestimmte Menschen oder Krieg verherrlichen? Das sind die Lieder der Welt.

Kirche singt immer ein anderes Lied als die Welt. Sie singt das Lied der Anbetung Gottes und des Widerstandes gegen Not und Elend, gegen Leid und Tod. Ich weiß, dass das ein hoher Anspruch ist. Aber an diesem Anspruch sollten wir uns als Kirche messen lassen. Diktatoren lassen sich in Liedern und Kantaten von ihrem Volk bejubeln. Sie lassen Propagandalieder singen bei Massenveranstaltungen oder anderen Ereignissen. Christen setzten gegen alle Propaganda dieser Welt, gegen alle weltlichen Mächte und Gewalten das Bekenntnis ihres Glaubens. Es ist ihre Verantwortung, dass sie dem Willen Gottes gehorchen, sich gegen das Böse stellen und ihm die Macht absprechen und nicht mitmachen, wo Gottes Gebote missachtet werden. Sie singen Lieder auch in Drangsalen und Verfolgung und zeigen damit, wer wirklich die Macht hat und Herr über die Geschichte ist. Sie verunsichern und verwirren damit ihre Unterdrücker, weil diese spüren, dass es eine Macht gibt, über die sie nicht gebieten können. Eine Macht, die Menschen Freude schenkt und Kraft auch im Leiden.

In Max Frischs Theaterstück »Nun singen sie wieder« streiten sich in der ersten Szene Karl und Herbert, zwei deutsche Soldaten. Sie sind Mitglieder eines Hinrichtungskommandos. Karl wird nach der Erschießung von 21 Geiseln, die bis zu ihrem Tod standhaft gesungen haben, schwermütig. In der Folgezeit hört er immer wieder den Gesang der Getöteten. Bis zu dieser Exekution hatte die Zivilbevölkerung vor den feindlichen Soldaten Angst gezeigt und war bereit gewesen, sich selbst zu verleumden. Auch einen russischen Popen zwangen die Soldaten, falsch zu schwören. Herbert, der Kommandant, sagt darauf. »Und der Geist, der höher als unsere Macht sein soll, wo ist er denn? Wo ist er denn, dieser Gott, den sie an alle Wände malen, jahrhundertelang, den sie im Munde führen? Ich sehe und höre ihn nicht!« Darauf erwidert Karl: »Vor einer Stunde haben sie gesungen!«

Karl desertiert schließlich und flieht nach Hause. Dort entdeckt ihn sein Vater im Keller. Als er ihn zur Rede stellt und ihn dringend auffordert, wieder an die Front zurückzukehren, weigert sich Karl. Er fragt seinen Vater, ob er schon einmal auf wehrlose Menschen geschossen habe, die dazu gesungen hatten. Der Vater versucht seinem Sohn mit verschiedenen Argumenten die Schuldgefühle zu nehmen. Als Karl spürt, dass er nicht verstanden wird, beginnt er das Lied der Geiseln zu singen.

Karl singt das Lied der Geiseln. Er spürt die Kraft, die aus dem Gesang kommt und er weiß, dass er niemals mehr auf wehrlose, singende Menschen schießen will und kann. Er hat gesehen, wie die Geiseln ruhig, ohne sich zu wehren, singend in den Tod gingen. Er hat die Botschaft der singenden Menschen verstanden: Ihr könnt uns das Leben nehmen, aber nicht das, was wir im Herzen tragen, den Glauben an Gott und an eine bessere Zukunft. Er hat gesehen, welche Kraft diese Menschen aus ihren Liedern geschöpft haben. - Auch aus der Zeit der Christenverfolgungen in Rom, durch Nero, wird berichtet, dass die Christen gesungen hatten, bevor sie in den Tod gingen.

Heute ist der Sonntag Kantate: Singet! Wir denken an diesem Sonntag voller Dankbarkeit an den Liederschatz unserer Kirche. Sie verherrlichen Gott. Sie loben ihn, der Himmel und Erde geschaffen hat und erhält. Es sind Lieder, die von Gott alles erwarten, Lieder, die ihm alles bringen, Freude und Trauer, Leben und Tod. Wenn wir in unsere Bibel hineinschauen, dann finden wir dort auch einen großen Schatz an Liedern. Ich denke da jetzt ganz besonders an die 150 Psalmen, die das erste Liederbuch von Menschen sind, die an den lebendigen Gott glauben.

Heute haben wir einen riesigen Schatz von Liedern in unseren Gesangbüchern. Viele, viele Lieder sind in den letzten Jahren entstanden. Diese neuen Lieder singen wir bei uns vor allem in den Gottesdiensten im Gemeindehaus. Ich würde uns zum Sonntag Kantate wünschen, dass wir viel mehr singen, dass wir laut singen, unsere Freude über Gott hinausjubeln, damit wir weg kommen von den Trauerliedern des Lebens, das uns manchmal so hoffnungslos und traurig macht. Lieder können unser Herz bestimmen, Lieder können uns fröhlich machen und in unserem Glauben bestärken und gründen. Darum, lasst uns singen – Lieder für Gott singen und nicht die Trauerlieder des Lebens. Amen.

03.04.2008

Ansprache Beichtgottesdienst zur Konfirmation

Gott spricht: Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte. Jeremia 31,3

Liebe Konfirmandinnen,
liebe Konfirmanden,
liebe Angehörige und Gäste,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

es gibt einen, dem du nicht gleichgültig bist. Es ist egal wie alt du bist, ob du Konfirmand oder Konfirmandin, ob du Vater oder Mutter bist, ob du Patin oder Pate bist, ab du Großeltern bist – es gibt einen dem du nicht gleichgültig bist: Gott.

Sicher bist du auch deinen Eltern und Freunden nicht gleichgültig. So wie du sie liebst, lieben sie dich bestimmt auch. Es ist aber doch etwas ganz besonderes, dass wir wissen dürfen: Gott interessiert sich für mich. Er schenkt mir Aufmerksamkeit und Würde und steigert sich sogar zu einem Liebesbekenntnis: Ich habe dich je und je geliebt.

Mir läuft ein Schauer den Rücken hinunter, wenn ich diese Worte höre: Gott liebt mich. Gott liebt mich, bereits mein ganzes Leben lang und er wird mich lieben in alle Ewigkeit. Er liebt mich so wie ich bin, mit allen meinen Gaben und Fähigkeiten. Aber auch mit meinen Grenzen und Unzulänglichkeiten. Gott nörgelt nicht an mir herum, sondern er erzieht mich auf seine Weise, mit Langmut und Geduld und voller Güte.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, morgen werdet ihr bei eurer Konfirmation, bzw. bei eurer Taufe, Ja sagen zu diesem liebenden Gott. Zu ihm, der euch schon geliebt hat, bevor ihr im Leib eurer Mutter wart. Ihr werdet Ja sagen zu einem Gott, der zu euch schon lange sein Ja gesprochen hat. Seine Liebe zu euch ist seitdem keinen Tag abgerissen. Morgen werdet ihr bekennen, dass ihr an ihn glaubt und mit ihm leben wollt. Ich bin sicher, dass ihr lieben Konfis das so in eurem Herzen fühlt und morgen gerne dieses Ja sprechen werdet. Das Fest und die Geschenke sind auch wichtig, aber nicht der Inhalt eurer Konfirmation – ich denke ihr habt das begriffen. Euer Ja zu eurer Taufe, in der euer Name mit Jesus verbunden wurde, das ist der Inhalt eurer Konfirmation. Wir haben uns im Unterricht oft darüber unterhalten.

Dieser liebende und barmherzige Gott will euer ganzes Herz haben. Er, der euch so sehr liebt, will auch von euch geliebt werden, er will, dass ihr ihm vertraut. Darum wollen wir jetzt in diesem Beichtgottesdienst darüber nachdenken, wo wir Gott nicht vertraut haben, wo wir ihn nicht geliebt haben und ihn vergessen hatten. Wir wollen unser Lebenshaus reinigen, und ihn bitten, dass er bei uns einzieht.

Das ist der Sinn dieses Beichtgottesdienstes. Zum Thema Beichten, sind manchmal schreckliche Gedanken, Ängste und Geschichten im Umlauf. Das ist nicht der Sinn der Beichte, einen anderen bloß zu stellen, ihn runter zu machen. Sinn ist, dass unser Verhältnis zu Gott und zu unseren Mitmenschen wieder in Ordnung kommt. Sinn ist, dass wir entlastet und unsere Schuld los werden, dass Heilung in meinem Leben passiert. Beichte hat zunächst dein ganz persönliches Verhältnis zu Gott im Blick und dass daraus dann auch Heilung unserer Beziehungen zu anderen Menschen passiert.

Weil Gott mich liebt und mich neu anfangen lässt, lasse ich auch den anderen neu anfangen und vergebe ihm, wo er mich verletzt hat, wo Ungerechtigkeit war und andere Schuld. Ich lasse es einfach gut sein zwischen mir und meinem Nächsten, trage ihm nichts nach und binde ihn nicht mehr an sein Versagen.

Ich weiß, beichten, das ist ein schreckliches Wort, das einem nicht so leicht über die Lippen geht. Wenn ich etwas beichten soll, dann muss ich mich auch der Sache stellen. Ich muss zugeben, vor mir zugeben, dass es Dinge gibt, die nicht in Ordnung sind und waren. Dinge, die ich bewusst oder unbewusst in meinem Leben zugelassen habe. Dinge, die Gott nicht gefallen, Dinge, die mir nicht gut tun oder meinen Nächsten verletzt haben. Ich denke, dass es uns allen gut tut, wenn wir uns Zeit nehmen und in Gedanken über unser Leben nachdenken und es im Blickwinkel eines liebenden Gottes betrachten, der so gerne mit uns Kontakt hat und unser Leben mit den Strömen seiner Liebe segnet, auch wenn wir immer wieder eigenen Wege gehen und ihn vergessen.

Gott spricht: Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.

Gott zieht uns zu sich. Er will uns damit wegziehen vom Bösen, von Mächten, die Einfluss auf unser Leben nehmen möchten. Er will uns wegziehen von Mächten, die uns vorspiegeln wie toll das alles ist, was Gott nicht in unserem Leben möchte und wie wichtig es ist ja nichts zu verpassen – egal ob es uns gut tut oder nicht. Am Schluss aber beleibt Unruhe, Unfrieden und schlechtes Gewissen. Gott zieht uns zu sich, damit wir Frieden haben.

Gott will, dass wir umkehren. Heute, in dieser Stunde. Er will, dass wir versuchen es mit seiner Hilfe künftig besser zu machen und ihn nicht aus unserem Leben ausblenden. Ich würde mich freuen, wenn ihr lieben Konfirmanden, die ihr mir in unserer Konfizeit sehr ans Herz gewachsen seid, in Zukunft so lebt, wozu ihr berufen seid – von Gott berufen seid: Ihr sollt Licht sein – Gottes Licht in einer Welt, in der es oft so finster ist. Ich hoffe, dass ihr euch weiterhin hier sehen lässt, damit das, was an Gutem in euch zu wachsen begonnen hat, weiter wachsen kann, damit ihr Christen mit festem Fundament werdet, die in sich und in Gott ruhen.

Ich will aber nicht versäumen, denen ins Gewissen zu reden, für die alles wichtig ist, nur nicht ihr Glaube an den Gott, der sie je und je geliebt hat und der sie lauter Güte zu sich ziehen will und mit seiner Güte zur Buße, zur Umkehr ruft.

Ich möchte euch zum Schluss eine kleine Geschichte erzählen:

Ein Junge lässt am Strand bei herrlichem Wind seinen Drachen steigen. Als seine Schnur völlig abgerollt ist, sieht man den Drachen gar nicht mehr, so hoch ist er in die Wolken hineingeschwebt. Ein älterer Herr tritt zu dem Jungen und fragt ihn, was er da mache. „Ich lasse meinen wunderschönen Drachen steigen!”, sagt der Junge stolz. „Aber ich sehe gar keinen Drachen”, sagt der Mann. „Ich sehe ihn auch nicht”, antwortet der Junge, „und doch ist er da, ich fühle, wie er zieht.” - Wie oft fragen uns Menschen danach, wo Gott ist. Er ist doch nicht zu sehen. Nein, wir sehen ihn auch nicht. Aber wir spüren, wie er zieht, mit seiner Liebe und Treue, seiner Barmherzigkeit und Wahrheit zieht er unser Leben in seine Nähe und ans Ziel.[1]

Lasst die Verbindung zu Gott nicht los, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, so wie der Junge die Schnur seines Drachen nicht losgelassen hat, obwohl er ihn nicht mehr sehen konnte. Liebe Gemeindeglieder, liebe Gäste, vielleicht ist auch für Sie der heutige Abend eine gute Gelegenheit, die Schnur zu Gott wieder in die Hand zu nehmen und ganz neu mit ihm anzufangen.

Gott spricht: Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte. Amen.



[1] Axel Kühner – Textarchiv 769

01.04.2008

Ansprache Karfreitag

Predigt Jes 52, 13-15; 53, 1-12

Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, so wird er viele Heiden besprengen, daß auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken.

Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, a litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben, dafür daß er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und b für die Übeltäter gebeten.

Liebe Gemeindeglieder
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

im letzten Haus des Dorfes, einem alten, halb zerfallenen Speicher, wohnte ein buckliger Mann ganz allein. Er wurde von allen gemieden, denn er war wegen Brandstiftung mit einer schweren Freiheitsstrafe belegt worden. Er hatte einst die Mühle des Dorfes angezündet.

Nach langen Jahren kam er aus dem Gefängnis zurück, menschenscheu und noch zusammengefallener als früher. Sogar zum Kinderschreck war er geworden, denn wenn die Kinder nicht brav sein wollten, drohten die Mütter mit dem Zuchthäusler, der sie holen würde.

Nur einer kümmerte sich um den Ausgestoßenen, und das war der Müller, dem der Bucklige dieses Unrecht angetan hatte. Jeden Sonntagnachmittag saß der Müller bei dem Geächteten, und niemand konnte begreifen, was er dort zu tun hätte. Erst redete man darüber, dann wurde es ruhig über dieser Schrulle des Müllers. Und so ging es noch manches Jahr.

Der Bucklige starb. Hinter seinem Sarg gingen der Pfarrer und der Müller - sonst keiner mehr. Denn wenn erst einer aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen ist, gibt es keine Barmherzigkeit mehr, auch im Tod nicht.

Und wieder nach einiger Zeit klopfte der Tod auch bei dem Müller an, und diesmal ging der Pfarrer nicht allein hinter dem Sarg. Das ganze Dorf folgte, denn der Müller war eine Respektsperson. Der Pfarrer sprach über ein Trost- und Bibelwort. Aber die Leute begannen erst da aufzuhorchen, als er folgendes erzählte: „Ihr habt euch oft gewundert, dass der Müller so freundlich zu dem Buckligen war. Heute sollt ihr den Grund erfahren. Kurz vor seinem Tod hat mir der Müller gebeichtet, dass er seine Mühle selbst angezündet habe, und er wäre dafür unfehlbar ins Zuchthaus gekommen.

Der Bucklige hatte die Gewohnheit, öfters in der Nacht noch draußen umherzustreichen, und da hatte er wohl den Müller bei seiner Tat beobachtet. Da kam der Bucklige eines Abends zu ihm und erklärte, er habe keinen Menschen auf der Welt, er wolle sich darum als Brandstifter ausgeben und alle Schuld auf sich nehmen, damit der Müller und seine Familie nicht ins Unglück kämen.

So konnte bei der Gerichtsverhandlung dann auch nachgewiesen werden, dass der Angeklagte in der Brandnacht nahe der Mühle gesehen worden sei. Viel Sympathien genoss er ohnehin nicht im Dorf, so wurde er denn verurteilt. Jahrelang hat dann der einsame Mann die fremde Schuld getragen, als Stellvertreter des Müllers. Dem Mann hier im Sarg hat Gott seine Schuld vergeben. Bitten wir nun Gott, dass er unsere Schuld dem Buckligen gegenüber auch vergebe, und lasst uns sein Andenken in Ehren halten.”[1]

Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.

Es gibt Menschen, die wir für nichts achten, von denen wir denken, dass sie ganz schwach sind. Menschen, die so gar nichts von sich hermachen, und nicht unseren Vorstellungen eines dynamischen und erfolgreichen Menschen entsprechen. Ich kenne solche Menschen und ich kenne auch die Stärke und Kraft, die sich hinter solchen Menschen verbergen kann. Jesus war auch so einer, dem zwar viele nachgefolgt sind, und dann waren sie alle weg und haben „kreuzige ihn“ gerufen. Sogar seine Vertrauten und Freunde, die Jünger, sind davongelaufen.

Und auch heute scheiden sich die Geister an Jesus. Viele achten es für nichts, was Jesus für uns getan hat, was da auf Golgatha geschehen ist. Wo sind sie denn heute, die tönen, dass sie Glauben haben. Ja, mit denen von der Kirche will man nichts zu tun haben – so sagt man wenigstens. Mit denen von der Kirche – das sind die, die an Jesus glauben, ihm vertrauen. Es lässt sie kalt, obwohl sie in den Namen Jesu hineingetauft sind. Es ist für sie Kirche, der man sowie so nicht trauen darf und es sind für sie fehlbare Menschen, die zu dieser Kirche gehören. Sie meinen: Kirche und Glaube, das ist etwas für alte Menschen, Behinderte und Kranke. Und es treibt sie auch nicht um Jesu willen in die Gotteshäuser, wo heute dem schrecklichen Geschehen vom Golgatha gedacht wird.

Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.

Es ist heilsam, sich damit auseinanderzusetzen, was auf Golgatha geschehen ist. Möglich, dass uns dabei Fragen plagen, über die wir nachdenken müssen. Vielleicht wird auch mache dieser Fragen aus dem Zweifel heraus geboren. Vielleicht spüren wir auch Widerspruch in uns. Da steht in unserem heutigen Text: „Fürwahr er trug unsere Krankheit ...“ Er hat unsere Krankheit mit an sein Kreuz genommen. Unsere Krankheit trug er? Wie kann einer meine Krankheit tragen? Der Gedanke hat ja was: Mein Bluthochdruck oder meine Arthritis im linken Knie – einfach wie weggeblasen! Übertragen auf einen anderen. Mag er zugrunde gehen!

Nur: Was nützt ein „Arzt“, den die Krankheiten seiner „Patienten“ umbringen?

Wir müssen anders fragen was es heißt: Einer „trägt“ meine Krankheit. Wenn jemand sagt: „Du machst mich krank!“ – dann ist ziemlich sicher nicht gemeint: „Du steckst mich mit deiner Grippe an.“

„Du machst mich noch krank!“ – so lautet der verzweifelte Vorwurf eines Menschen, der mit dir nicht klar kommt. Was ist an dir so ungesund und schädlich, dass er deinetwegen krank wird?

Da ist vieles, was Menschen an einander krank macht: das ewige Nörgeln, Rechthaberei, Lieblosigkeit und Unverständnis. Viele halten es einfach nicht mehr aus, so nebeneinander herzuleben, ohne zu wissen was der andere wirklich denkt und fühlt. Taktlosigkeiten, dass sich der oder die andere so wenig unter Kontrolle hat und andere mit ihren Launen und Zicken belastet. Nicht wissen wie man dran ist und die Angst davor ein verkehrtes Wort zu sagen. All das muss von den anderen getragen werden, ob sie das wollen oder nicht und es macht das Zusammenleben zur krankmachenden Qual.

Am Arbeitsplatz von Kollegen gemobbt zu werden, die sich lauthals darüber beschweren gemobbt zu werden, dabei aber selbst ohne Ende mobben. Es macht krank, in solchen Verhältnissen sein Brot verdienen zu müssen.

Oft sind es die Verhältnisse, in denen manche leben und überleben müssen, die bis zum krank werden getragen werden müssen. Der Lohn, der kaum zum nötigsten reicht. Finanzielle Sorgen, die einfach kein Ende nehmen und das bestimmende Thema sind – jeden Tag neu. Die Enge in der Wohnung, in der man sich auf den Wecker geht, aber eine größere trägt es nicht.

Das alles kann uns krank machen und irgendwann zum Beziehungsinfarkt führen, bis der Wunsch immer stärker wird aus allem auszubrechen, weg, einfach nur weg, raus aus dieser Situation.

Gott kennt das auch, dass ihn Beziehung krank macht. Aber eigentlich müsste ich sagen, dass ihn unsere Nichtbeziehung zu ihm krank gemacht hat. Er trägt schwer an uns.

Es hat ihn krank gemacht, dass sich der Mensch von Anfang an von ihm abgesondert hat und eigene Wege gegangen ist. Es lässt Gott auch nicht kalt, was sich Menschen untereinander antun. Er bezieht es auf sich. Darum können wir im Matthäusevangelium lesen: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen, und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.“[2]

Gott bezieht es auf sich, was wir uns gegenseitig antun. Wenn unsere Beziehung zu anderen Menschen gestört ist, dann ist auch unsere Beziehung zu ihm gestört.

Wer kann diese Schuld tragen? Unsere Schuld gegenüber Gott und dem anderen Menschen?

Wer kann meine Schuld tragen? Wer kann sie forttragen, wegschaffen, beseitigen aus meinem Leben? Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Hier ist einer, der meine Schuld trägt, die Strafe, die ich verdient habe.

Man könnte denken: Kein Tag vergeht, ohne dass Christus irgendwo auf der Welt noch einmal gekreuzigt wird. Aber es vergeht auch kein Tag, an dem Menschen nicht erfahren: Er, unser Gott hat unser Leben geheilt! Unsere Gemeinschaft ist durch ihn genesen. Die Krankheit ist auskuriert, deren Ursache wir selbst waren. Keiner, der sagt: „Du machst mich krank!“ Nein es heißt jetzt: „Ich kann dir wieder ins Gesicht sehen.“ Gott sei Dank wir haben uns wieder erholt von unserem tödlichen Siechtum!

Dir Gott sei Dank! Gib unserem Leben Zukunft. Wir möchten dich nicht kränken. Hilf uns Heil zu werden durch Christus. Amen.



[1] Axel Kühner Textarchiv 542

[2] Mt 25, 40-46

Ansprache Palmsonntag

Predigt Jesaja 43, 1-5a

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

Mary Glück möchte, so wie wir das im Anspiel unserer Konfirmanden gesehen haben, nur eins, sie möchte glücklich werden. Wir haben uns im Konfirmandenunterricht vor wenigen Wochen mit dem Thema Tod und Sterben beschäftigt. In dem Zusammenhang haben wir uns auch mit der Frage auseinandergesetzt, was wir in unserem Leben erreichen wollen. Häufig wurde dabei ein guter Schulabschluss und ein guter Beruf genannt. Fast alle aber haben gesagt: Ich möchte Familie haben und glücklich werden. Wie aber geht das mit dem Glücklichwerden? Bin ich glücklich, wenn ich Markenklamotten trage und mir alles leisten kann? Oder bin ich glücklich, wenn ich einen Ehepartner und Kinder habe? Macht es mich glücklich, wenn ich die erste Million verdient habe und mein Häuschen im Grünen steht? Was brauche ich um glücklich zu sein? Oder liegt Glücklichsein auf einer ganz anderen Ebene? Auf einer Ebene, die ich nur in mir finden kann? Wenn ich weiß ich bin angenommen und geliebt, ich bin wertgeschätzt und geachtet, ich gehöre jemanden, ich gehöre zu jemandem?

Hören Sie den Predigtext, er steht bei Jesaja im 43. Kapitel:

So spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben. So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.

Ein starker Text, kraftvoll und mit starken Worten und Zusagen. Ein Text, der mich wertschätzt und beruhigt, der mich aber auch aufwühlt. Eigentlich kommt in ihm unser ganzes Leben vor. Er begleitet uns bei Beerdigungen genauso, wie bei Taufen, Konfirmationen oder Trauungen. Da ist von meinem Namen und vom Wasser die Rede, und lenkt dadurch unsere Gedanken zur Taufe hin. Unser Name, den Gott kennt – ein ganz starker Gedanke. Wissen wir, wer wir sind? Genügt es, wenn unser Name im Pass und an der Wohnungstür steht? Unser Name ist unsere Identität. Aber wer sind wir?

In China wagte man früher nicht, den Namen eines Kindes auszusprechen. Man hatte Angst, böse Geister könnten dann von dem Kind Besitz ergreifen. Diese Furcht beherrscht auch heute noch manche Eingeborenenstämme. Sie hüten sich, den Namen eines anderen zu nennen, weil sie meinen, die Dämonen bekämen dann Macht über ihn. Ein solcher Stamm, der zum Glauben an Jesus kam, erfuhr die glückliche Freiheit von dieser Heidenangst. Einer nach dem anderen übergab seinen Namen Jesus. Sein Name wurde mit dem Namen Jesu verbunden und damit frei von der Furcht vor anderen Mächten.

Einmalig ist unser Name, eben unser Eigenname, er gehört uns. Aber damit verbindet sich nicht nur Einmaliges, Geheimnisvolles, sondern auch Unheimliches und Dunkles, Schuld und Schicksal. Darum brauchen wir für unseren Namen eine Heimat, ein Zuhause, wo er aufgehoben und aufgeschrieben ist. Unser Name wird mit dem Namen über alle Namen verbunden. Unser Name wird bei Gott in das Buch des Lebens geschrieben. Wir werden nach seinem Namen genannt, nennen uns in einer ganz neuen Identität nach Christus, eben Christen. In der Taufe wird uns nicht der Name gegeben, sondern wir werden mit unserem Namen auf seinen Namen getauft. „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!” Damit ist allen anderen Namen, Menschen und Mächten der letzte Einfluss auf unser Leben abgesprochen, und wir sind Jesus als Eigentum zugesprochen. Das müssen wir dann im Glauben beantworten und ausleben. Dann ist unser Name, unser Leben, unsere Identität im Leben Jesu aufgehoben und bewahrt. Über unserem Namen leuchtet sein Name auf. Gott ruft uns zu: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein![1]

Und da ist dann auch der Gedanke, den wir oft bei Beerdigungen aussprechen, dass wir auch in unserem Sterben Jesu Eigentum bleiben. Unser Name ist bei ihm aufgehoben und bewahrt über unser Sterben hinaus, in alle Ewigkeit.

Auch wenn wir heiraten ist der Name oft ein wichtiges Thema. Zu Recht, meine ich, denn im Namen drückt sich aus wem wir gehören, zu wem wir gehören. Auch wenn das nicht immer konfliktfrei ist. Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!

Ich gehöre Gott und bin bei ihm keine Nummer, sondern er kennt meinen Namen und damit auch mein ganzes Leben. Wissen Sie, liebe Gemeinde, ich habe in den letzten Wochen sehr viel mitgemacht, weil meine Frau auf Leben und Tod in der Intensivstation liegt. Es ist mir eine große Hilfe zu wissen, dass Gott ihren Namen kennt und in dieser Zeit der Ungewissheit bei ihr am Bett ist. Und es ist mir wichtig zu wissen, dass sie sich vor dem großen Eingriff mit ihrem Namen in die Hand Gottes gegeben hatte, mit dem sie im Leben und Sterben unverbrüchlich verbunden ist. Sie wird nun wählen, ob sie mit Jesus in die Ewigkeit geht, oder bei den Menschen bleibt, die sie hier auf dieser Erde über alles geliebt hat. Diese Gedanken helfen uns in dieser Zeit der Ungewissheit und Unsicherheit wo ihr Weg wohl hingehen mag: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Jesu Namen tragen, zu Gott gehören.

Und dann noch das andere. Das Wort für die Lebenden. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe.

Ständig vergleichen wir uns in Ansehen und Anziehung mit anderen Menschen. Wir beneiden sie um ihre Intelligenz und Schönheit, ihren Reichtum und ihren Erfolg. Ganz unbewusst kritisieren und verachten wir uns dabei selber, machen uns klein und fühlen uns mies. Um das auszugleichen, beginnen wir ein übles Rollenspiel. Wir schlüpfen in fremde Rollen, setzen interessante Masken auf und erwerben uns Statussymbole, die in der Gesellschaft gelten. Wir täuschen vor, was wir nicht sind, und täuschen uns darin, wer andere sind. Niemand soll unsere Ecken und Kanten spüren, keiner unsere Fehler und Schwächen durchschauen, weil wir andere glatt, stark und erfolgreich wähnen. Niemand soll erfahren, wie einsam, ungeborgen, fremd, ängstlich und schwach wir sind. Wir haben Angst, dass andere uns herabsetzen und in unseren Wunden lustvoll herumkratzen und sich an unserer Schwäche weiden. Darum verbergen wir unser wirkliches Selbst aus Angst vor Verletzung und Verachtung.

Und was wir oft nicht bedenken, ist, dass es den anderen Menschen ähnlich ergeht. So entsteht eine Gesellschaft von verkrampften, gequälten Schauspielern, in der jeder seine eigene Identität verraten hat. Zwischen Überforderung und Untererfüllung geraten wir ins Schleudern, verleugnen uns selbst auf eine völlig falsche Weise, schämen uns unserer selbst und unserer Eigenart.

Es wird höchste Zeit, dass wir uns von Gottes unbedingter Liebe her als einzigartig und angenommen erkennen, unsere ureigene Identität leben, mit unserem Alter und Geschlecht, Charakter und Beruf, mit unseren Gaben und Grenzen, unserer Wohn- und Lebensart versöhnen. Versuchen wir nicht, wie andere oder anders zu sein, stehen wir zu uns selbst und vergleichen wir uns nicht mit anderen, weil jeder Mensch vor Gott unvergleichlich ist.

Weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist, habe ich dich lieb.[2]

Wir sind in Gottes Augen wertvoll. Es ist Sünde wenn wir, wie Max Kannix in unserem Anspiel, mit der Einstellung leben und leiden: Max kann nix, Max ist nix und aus Max wird nix. Leider bringen Eltern das oft ihren Kindern bei. Ich habe im Konfirmandenalter leider auch gewusst: Aus dir wird nie was. Es bedurfte großer Mühe, viel Schweiß und viel Mühe, diesen Fluch in meinem Leben wieder loszuwerden. Und ich kann jedem der so daherkommt sagen: Tu was dagegen, geh in Therapie oder zu einem guten Seelsorger, der Lüge als Lüge entlarvt und dir den guten Plan Gottes für dein Leben aufzeigen kann. Wir haben Menschen in unserer Gemeinde, die mit Max Kannix solche Wege gehen können. Aber um Himmelswillen gewöhnen Sie sich nicht an die Rolle es Versagers und des Nixkönners, es ist schrecklich sich so fühlen zu müssen. Wir sind in Gottes Augen wertgeachtet und Gott liebt uns. Jeder Mensch hat an irgend einer Stelle seine Stärken. Es gilt sie zu entdecken, liebe Eltern. Die Stärken ihrer Kinder liegen nicht immer dort wo wir sie gerne haben möchten. Sie helfen ihrem Max Kannix, wenn sie sich mit ihm liebevoll auf die Suche machen und ihn darin unterstützen, an sich selbst zu glauben.

Liebe Gemeinde, ich möchte ihnen am Ende dieser Predigt noch mal den ganzen Predigttext vorlesen. Er ist so stark und tut zumindest meiner Seele so gut, dass ich ihn nochmals hören möchte. Trinken sie ihn mit mir in sich hinein: So spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben. So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir.
Amen.



[1] Axel Kühner Textarchiv 106

[2] Axel Kühner Textarchiv 726

02.02.2008

Predigt Jesaja 58, 1-9a

Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! Sie suchen mich täglich und begehren, meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe. »Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?« - Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter.

Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?

Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

heute ist Faschingssonntag, Höhepunkt des Faschingstreibens. An vielen Orten gibt es heute Umzüge, man maskiert oder verkleidet sich, ist ausgelassen und fröhlich. In zwei Tagen, am Faschingsdienstag, ist dann um Mitternacht alles vorbei. Wir stürzen von der Gaudizeit in die Fastenzeit hinein. Womit ich jetzt versucht habe, elegant den Bogen vom heutigen Faschingssonntag zum heutigen Predigttext zu spannen. Darin geht es nicht um närrisches Treiben, sondern ums Fasten.

Fasten ist ja groß in Mode. Fasten, weil wir alle irgendwie zu viele Kilos auf die Waage bringen. Fasten, weil es den Körper entschlackt. Viele fasten in der Zeit vor Ostern, weil sie freiwillig Verzicht leisten wollen auf etwas, was ihr Leben bestimmt oder beherrscht – oder sagen wir mal, ziemlich im Griff hat.

Die einen machen Fernsehfasten, indem die Kiste bis Ostern ausbleibt, andere essen keine Schokolade und meiden den Alkohol. Ich faste, esse keine Süßigkeiten und am Abend nur Obst. Warum machen wir das? Na ja, ich hoffe, dass ich nach den sechs Wochen fünf Kilogramm leichter bin. Das ist eine hohe Motivation. Und so hat jeder sein eigenes Ding, das er sich und den anderen durch sein Fasten in der Fastenzeit zeigen und beweisen will.

Jetzt könnte ich die Frage stellen, ob das den lieben Gott überhaupt interessiert? Ob ich durch mein Fasten bei ihm Pluspunkte holen kann? Kann ich mit ihm vielleicht ein Geschäft machen? Ich faste und Gott hört mich, schenkt mir sein Heil? Wäre das nicht etwas, was unserer Beziehung zu Gott entgegenkäme? Wäre es nicht gerecht, wenn Gott unser Fasten belohnen würde, denn das Fasten fordert schließlich ja auch etwas von uns ab? Es ist schließlich nicht einfach zu hungern oder Gewohnheiten sein zu lassen, die uns eine Menge bedeuten.

Was antwortet uns Jesaja auf diese Gedanken? Er antwortet mit Wenn und Dann. Gerade so, wie Eltern es tun, wenn sie ihre Kinder erziehen: „Wenn du brav bist, ja, dann werde ich’s mir noch mal überlegen.“ Jesaja richtet uns von Gott aus: „Wenn du dich anderen nicht entziehst, dann wird dein Licht wie eine Morgenröte hervorberechen, dann wird dir Gott antworten. Wenn du Unterdrückung, Verleumdung, Hunger abschaffst, dann wird dein Licht hervorleuchten.“

Natürlich können wir auf dieses „Wenn“ und „Dann“ mit der Rechtfertigungslehre kontern. Denn im Augsburger Bekenntnis von 1530 lesen wir: „Weiter wird gelehrt, dass wir Vergebung der Sünde und Gerechtigkeit vor Gott nicht durch unser Verdienst, Werk und Genugtun erlangen können, sondern dass wir Vergebung der Sünde bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden, um Christi willen, durch den Glauben, wenn wir glauben, dass Christus für uns gelitten hat, und dass uns um seinetwillen die Sünde vergeben und Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird.[1]

„Allein aus Gnade, allein um Christi willen, allein durch den Glauben,“ wird uns unsere Schuld vergeben, das ist die reformatorische Erkenntnis Luthers. In dieser Erkenntnis hat das „wenn“ – „dann“ des Jesaja keinen Platz. Also müssen wir weiterfragen. Wir müssen fragen, welche Bedeutung meine Rechtfertigung vor Gott für mich hat – wie sie zu verstehen ist. Wir können darüber im Evangelischen Erwachsenenkatechismus lesen:

Jeder Mensch lebt unter Bedingungen, die er selbst nicht gesetzt hat. Dass ich zu dieser Zeit, an diesem Ort geboren bin, dass ich diese und keine anderen Eltern habe, dass ich Mann oder Frau bin, dass ich bestimmte Fähigkeiten habe und andere wieder nicht ‑ dies. alles sind Lebensbedingungen die ich mir nicht ausgesucht habe, über die ich folglich auch nicht verfügen kann. Ebenso ist es mit der Zukunft: keiner hat sie in der Hand, keiner weiß genau, welche Folgen sein Handeln hat, jeder geht dem Tod entgegen. Es gibt sehr verschiedene Möglichkeiten, mit diesen Bedingungen fertig zu werden: Ich kann gegen sie hadern, vor ihnen den Mut verlieren und resignieren oder mich ihnen bewusst aussetzen und sie anerkennen. Letzteres ist die Haltung des Glaubenden. Er spürt hinter den Bedingungen des Daseins eine Macht, über die er nicht verfügen kann, die vielmehr über ihn verfügt: Gott.

Wie kann der Mensch fähig werden, die Bedingungen des Daseins anzunehmen? Nur dadurch, dass er selbst von anderen angenommen wird. Tiefenpsychologische Forschungen haben erwiesen, dass das Verlangen nach Anerkennung zum Wesen des Menschen gehört. Der Mensch braucht eine Gemeinschaft, in der er angenommen ist und in seinem Wert bestätigt wird. Besonders wichtig sind hierfür die ersten Lebensjahre. Nur wer diese Annahme durch andere erfährt, kann zu sich selbst finden (Identität). Früher konnte der Mensch diese Bestätigung finden, wenn er sich mit den überlieferten Normen und Regeln identifizierte. Er wusste sich dann mit der großen Gemeinschaft in Übereinstimmung und von ihr getragen. Das ist heute weithin anders geworden. Je weniger der Mensch die Anerkennung durch Institutionen erfährt, desto nötiger braucht er die Bestätigung durch andere Menschen. So ist er in der Tiefe seines Wesens auf der Suche nach Annahme und Anerkennung ohne Vorbehalt, nach Verständnis und Vergebung.

Nur liebevolle Zuwendung kann den Ring der Selbstverteidigung, den der Mensch aus Angst und Misstrauen um sich aufbaut, öffnen.

Wo kann er sie finden? Die christliche Verkündigung verweist auf Christus, der den Menschen annimmt, wie er ist. Es reicht aber nicht aus, dies nur zu sagen; der Mensch muss es erfahren, indem er in eine Gemeinschaft hineingenommen wird, die ihn annimmt und anerkennt. Die christliche Gemeinde soll ein solcher Raum des gegenseitigen Annehmens sein. Gottes Zuwendung wird durch die Gemeinschaft der Glaubenden, also durch Menschen vermittelt (Röm 15,7). Ich erhalte dadurch aber auch Kraft, mich in Situationen, wo ich auf Liebe von Menschen verzichten muss, ganz auf Gott zu verlassen.

Wer stillt unsere Sehnsucht nach Liebe und Freiheit? Der christliche Glaube antwortet: Gott tut es, weil er uns bejaht und in seine Gemeinschaft aufnimmt, weil er uns liebt. Wer sich so angenommen weiß, hat Boden unter den Füßen. Er kann frei werden von der ständigen Sorge um sich selbst, vom Zwang, immer der Mittelpunkt sein zu müssen, und der Angst, ob er wichtig und wertvoll ist. Wer erfährt, dass er von Gott beschenkt wird, wird freier, unabhängiger von dem, was er gut oder falsch gemacht hat. Er hat es nicht nötig, sich selbst und den anderen etwas vorzumachen. Er kann sich sehen, wie er ist. Wer sich Gottes rechtfertigendes Wort sagen lässt, kann frei werden von Urteilen und Meinungen der Menschen und dem, was er von sich selbst weiß. Die Geborgenheit, die der Mensch bei Gott findet, kann ihn zu einem verantwortlichen Leben aus Freiheit befähigen, verantwortlich vor Gott und den Menschen, mit denen er zusammen lebt.[2]

Und damit sind wir genau wieder bei Jesaja, der uns sagt: Dein ganzes Fasten hilft nichts, wenn du Gott nicht in der Nähe der Kranken, Sklaven und Notleidenden vermutest. Du kannst dich im Fasten in dich versenken, die selbst kasteien und quälen – aber Gott wird nicht hören. Gott hört da, wo wir den anderen hereinnehmen in unsere Gemeinschaft, damit er es erfahren darf: ich bin angenommen und anerkannt. Er wird sich nichts mehr vormachen müssen, keine Masken und Verkleidungen mehr tragen müssen, weil er weiß: Ich darf so sein wie ich bin – und ich darf hinsehen wie ich bin, weil Gott mich rechtfertigt und annimmt: „Allein aus Gnade, allein um Christi willen, allein durch den Glauben,“ und nicht weil ich eine fromme Rolle spiele oder anderen nach dem Mund rede.

Die reumütige Innenschau des Fastenden sieht das was in seiner Umgebung notwendig ist nicht – nur seine Schuld, sein Versagen, seine Reue. – Auch er darf sich von Gott rechtfertigen lassen und den Schritt tun, den Jesaja von uns fordert: Taten der Barmherzigkeit. Sie sind keine guten Werke, sondern das, was wir dem anderen schulden. Amen.


[1] Confessio Augustana (CA) Artikel IV

[2] Evangelischer Erwachsenenkatechismus 3. Auflage März 1977 – Seite 438 f.

21.01.2008

Radio F: Moment mal - Zeit

Ich stand vor dem kleinen Lebensmittelladen eines oberbayerischen Diakoniedorfs und wartete, dass er endlich öffnete. Es verging Minute um Minute und es rührte sich nichts. Mit mir wartete ein etwas älterer Bewohner des Ortes. Als er meine wachsende Ungeduld bemerkte, meinte er trocken: „Weißt du, hier gehts nicht nach Minuten und Sekunden, hier gehts nach Stunden und Tage“. Und strahlte mich mit breitem Grinsen an.

Später hat mir das Warten vor der Krämerei nichts mehr ausgemacht. Ich begann ich es zu genießen, dass es Orte gibt, wo die Zeit etwas langsamer voranschreitet.

Was können wir heute nicht alles in kürzester Zeit bewegen? Wir können Nachrichten in Sekunden um den ganzen Globus schicken und in wenigen Stunden große Strecken mit dem Auto, der Bahn oder dem Flugzeug zurücklegen. Maschinen helfen uns Waren in großen Stuckzahlen in Windeseile zu produzieren, manchmal schneller als unsere Augen das verfolgen können.

Eigentlich müssten wir Zeit im Überfluss haben. Aber Zeit scheint bei uns Mangelware zu sein. Kaum jemand hat wirklich Zeit. Wir haben uns einen Lebensstil des Hastens und Hetzens angewöhnt. Uns plagen Unruhe und Ungeduld.

Nun aber sagt Gott, dass er der Herr unserer Zeit sein will. Ich denke, dass er nicht will, dass wir uns keine Ruhe mehr gönnen, und kaum Zeit für einander haben. Ja, ich weiß, es gehört Mut dazu den eigenen Tagesplan kritisch anzusehen und rigoros darin zu streichen.

Radio F: Moment mal - Warum?

Aufwachsende Kinder können uns mit der Frage nach dem „Warum“ Löcher in den Bauch fragen. Ich kenne das von meiner fünfjährigen Enkelin Sabine: Warum wird es am Abend dunkel? Warum haben Mädchen keinen Penis? Warum ist die Milch weiß? Warum musst du heute wieder nach Hause fahren und kannst nicht hier übernachten? Warum … warum … warum. Manchmal können uns die Kleinen mit dem ewigen Warum so richtig an unsere Grenzen bringen – besonders am Abend, wenn wir müde und abgespannt sind und sie fragen: Warum muss ich jetzt schlafen gehen?

Ich denke wir Erwachsene sind auch nicht viel besser. Uns bewegt auch so manches, auf das wir brennend Antworten möchten: Nach einem schweren Unfall, oder wenn jemand schwer krank wird oder überraschend stirbt. Dann sind sie da, die Fragen nach dem Warum. Schicksalsschläge fordern Antworten. Antworten, die es leider oft nicht gibt. Und doch haben wir den Eindruck, als könnten wir das Unverstehbare erst dann annehmen, wenn die Frage nach dem Warum geklärt ist. Die Warum-Frage scheint eine Frage nach der Gerechtigkeit zu sein. Manchmal auch nach der Gerechtigkeit Gottes.

Auch in der Bibel finde die Frage nach dem Warum. - In den Psalmen kann ich lesen: Warum hast du mich vergessen? Warum muss ich so traurig gehen? - Auch Jesus stellt am Kreuz die Frage nach dem Warum: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Es gibt oft keine Antwort auf unser Warum. Aber das Warum kann uns hinführen zum Vertrauen, dass denen, die Gott lieben alle Dinge zum Besten dienen müssen.

Radio F: Moment mal - Soziale Kompetenz

Vor ein paar Tagen konnte ich im Wartebereich bei meinem Hals-Nasen-Ohrenarzt eine Mutter mit ihren drei Kindern beobachten. Die Älteste etwa 8-9 Jahre alt und zwei jüngere, noch nicht im schulpflichtigen Alter. Die Mutter war, nachdem sie mit ihren Kindern beim Arzt im Sprechzimmer war, noch an der Anmeldung um etwas zu erledigen. Inzwischen holte die Älteste für sich und ihre kleinen Geschwister die Mäntel, die an der Gaderobe hingen und zog sie ihnen mit ein paar freundlichen Worten an. Das lief alles wie selbstverständlich ab. Dann setzten sich die drei in die Kinderecke und malten, bis die Mutter kam.

Ich sog dieses Familien-Bild förmlich in mich ein. Hier erlebte ich etwas, was man heute nicht mehr so oft sieht. Ich erlebte soziale Kompetenz. Verantwortung für sich selbst und Schwächere. Nicht umsonst wird soziale Kompetenz heute immer stärker eingefordert. Denn der um sich greifende Egoismus unter uns, die Ellenbogenmentalität, die nur die eigenen Bedürfnisse sieht, haben uns nicht weitergebracht. Es scheint langsam wieder in unser Bewusstsein zu dringen: Wenn Zusammenleben funktionieren soll, dann nur so, dass die Starken für die Schwachen da sind. Das gilt für Kinder und Jugendliche, aber auch für uns Erwachsene und für die, die in unserem Staat und in der Wirtschaft an der Spitze stehen.

Jesus sagt: Was ihr einem, dieser meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.
Das gilt für das Gute, aber auch für das Böse, und auch für das was wir unterlassen haben.

Radio F: Moment mal - Klassenprügel

Ein etwa 10-jähriger Junge stand vor dem Schulhof, umringt von 10 bis 15 Gleichaltrigen und rief nach seiner Mama. Die anderen lachten ihn aus und schlugen auf ihn ein. Er wehrte sich nicht, sondern weinte und schrie weiter vor Angst. Endlich erbarmte sich eine etwas resolute Passantin und machte dem bösen "Spiel" ein Ende.

Diese Szene ereignete sich in den 60er Jahren, in meiner Heimatstadt Augsburg. Der Junge, der nach seiner Mama schrie, war ich. „Klassenprügel“ nannte man das damals, die ich regelmäßig bekam. Heute würde man vielleicht von Mobbing oder ähnlichem sprechen.

Gewalt unter Kinder und Jugendlichen ist also nicht nur ein Thema von heute. Kinder beherrschten es scheinbar schon immer, auf scheinbar Schwächere loszugehen, oder auf solche, die anders waren. Ich rede damit nicht klein, was solche Gewalt anrichtet, die sich heute oft an völlig Unbeteiligten auslässt. Ich spiele damit auch nicht Gewalt herunter nach dem Motto: Das war schon immer so!

Allerdings lässt mich die Frage nicht los, was in der Erziehung einiger unserer jungen Leute falsch läuft. Welches Menschenbild wird ihnen vermittelt, was lässt sie schlimmer als ein Tier sein. Warum reißen sie scheinbar mühelos Grenzen ein und treten buchstäblich die Achtung vor der Würde und Unversehrtheit des Anderen mit Füßen? Ein Tier hört auf, wenn der Artgenosse sich ergibt und wehrlos am Boden liegt.