27.05.2011

Die Wüste weint ...

Ansprache zum Beichtgottesdienst vor der Konfirmation 2011

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
liebe Eltern und Angehörige unserer Konfirmandinnen und Konfirmanden
liebe Gäste,
liebe Gemeinde,

eine alte Geschichte aus Nordafrika erzählt von einem Beduinen, der sich immer wieder der Länge nach auf den Boden legt und sein Ohr in den Wüstensand drückt. Stundenlang horcht er in die Erde hinein. Verwundert fragt ihn ein Missionar: „Was machst du da eigentlich auf der Erde?” Der Beduine erhebt sich und antwortet: „Freund, ich horche, wie die Wüste weint, sie möchte so gerne ein Garten sein!”

Wenn wir, wie der Beduine, stille werden, unsere Ohren auftun, nach innen richten, dann können auch wir die Wüste weinen hören. Die Wüste in uns, weil wir ein blühender Garten sein möchten. Die Wüste der Einsamkeit in uns weint, weil wir so gerne ein Garten der Begegnung sein möchten. Die Wüste der Ungeduld weint, weil sie so gerne ein Ort der Ruhe und der Langmut sein möchte. Die Wüste aus Verzweiflung weint, sie möchte so gerne ein Garten der Hoffnung sein. Die Wüste der Schuld weint, sie möchte so gerne ein Garten der Vergebung sein. Die Wüste des Sterbens weint, sie möchte so gerne ein Garten des neuen Lebens sein.

Wenn wir mutig sind, uns trauen hinzuschauen und hinzuhören, dann können wir viel Wüste in uns entdecken. Zeiten, wo wir kein blühender Garten sind, oft nur mit uns selbst beschäftigt. Zeiten, in denen uns nur wenig zu gelingen scheint. Zeiten in denen wir uns innerlich ausgetrocknet fühlen. Diese Wüstenzeiten ängstigen und blockieren uns. Wir leiden, spüren das Trostlose, das Unfruchtbare in uns. Eigentlich möchten wir doch ganz anders sein: Ein bunter blühender Garten, an dem wir und andere sich erfreuen können. Ein fruchtbarer Garten, so wie ihn sein Schöpfer gedacht und wunderbar gemacht hat. Er hat ihn mit so vielen Gaben und Begabungen ausgestattet.

Liebe Konfirmandinnen und liebe Konfirmanden, liebe Eltern und Paten, liebe Gäste und Gemeindeglieder, ihr seid solch ein wunderbarer, von Gott erdachter Garten. Nein, bestimmt keine Wüste. Ihr habt Begabungen und Fähigkeiten mitbekommen, mit denen ihr wuchern dürft. Und ich denke, dass in euch noch viel mehr an Wunderbarem schlummert, verborgen, unerkannt, jetzt noch gar nicht zu sehen. Vieles, das sich in den nächsten Jahren noch entwickeln wird. Wunderbar seid ihr, von Gott erdacht und gemacht.

Da ist aber auch Wüste in uns, das, was Leben in Gefahr bringt, das, was unser Leben oft so fruchtlos und freudlos macht. Wüste, die uns innerlich verbrennt und vertrocknen lässt und vom Leben wegbringt. Wir fühlen das, es macht uns unruhig und unglücklich, denn eigentlich sehnen wir uns danach ein blühender Garten zu sein, in dem es wächst und gedeiht. Ein blühender Garten, der uns Freude schenkt, der uns die Erfahrung machen lässt, geliebt und angenommen zu sein.

Und so sind wir auf der Suche. Oft ganz unbewusst. Wir suchen, den blühenden Garten: die Ruhe, den Frieden, die Freude, die Anerkennung, das Angenommensein. Kurz gesagt: Das, was meinem Leben Halt und Glück schenkt. Aber wo sollen wir suchen? Es gibt so viele Angebote, die uns locken, die ihre Hände nach uns ausstrecken. - Viele geben auf, weil sie nicht finden, leben so weiter – unglücklich, mit der großer Sehnsucht im Herzen nach dem, den wir Vater nennen dürfen – den Gott mit den vielen Namen. Den Gott, den wir im Konfirmandenunterricht immer wieder miteinander gesucht haben: den Gott der Barmherzigkeit, den liebenden, geduldigen, vergebenden Gott. Den Gott der uns bei unserem Namen gerufen hat und dessen Kind wir durch die Taufe geworden sind. Es ist der Gott, der unsere Lebens-Wüste mit neuem Leben erfüllen kann. Er, der Liebhaber des Lebens, der uns dazu verhelfen will, dass wir leben, richtig leben. Der Gott, der nicht will, dass sich die Wüste in uns ausbreitet und bestimmend wird.

Dieser barmherzige, liebende, geduldige und vergebende Gott lädt uns heute zu sich ein: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“. Bei ihm dürfen wir die Wüste in uns lassen, damit Fruchtbares wachsen kann.

Wenn es in der Wüste regnet, dann wird daraus ein grünender und blühender Garten. Und so will das, was wir nachher in der Beichte und im Abendmahl mit einander tun, eine Einladung Gottes sein – ein warmer Regenguss in der Wüste. Wasser für eine verdurstende Seele. „Ich will heute bei dir einkehren“, sagt Jesus zum Zöllner Zachäus. Er macht ihm keine Vorwürfe, lehnt ihn nicht ab, trotz allem was er in seinem Leben falsch gemacht und verbrochen hat. Jesus lädt sich bei ihm ein, kommt ihm, dem Sünder, nahe.

Heute lädt sich Jesus auch bei uns ein. In der Beichte und im Heiligen Abendmahl will er bei uns einkehren, damit wir Vergebung erfahren. Wir dürfen das loslassen was uns belastet und quält. Wir dürfen neu anfangen – mit ihm.

„Freund, ich horche, wie die Wüste weint, sie möchte so gerne ein Garten sein!” das war die Antwort des Beduinen. Hören wir doch die Tränen der Wüste in uns – sie möchte so gerne ein Garten sein. Amen.

Es ist der Herr

Predigt am Sonntag Quasimodogeniti
1. Mai 2011

Johannes 21, 1-14

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

1. In dieser Nacht fingen sie nichts

„In dieser Nacht fingen sie nichts!“ Petrus und einige der Jünger waren nicht in Jerusalem geblieben wie die anderen Jünger, sondern zurück in ihre Heimat gegangen, an den See Tiberias. Dort gingen sie wieder ihrem Beruf als Fischer nach, nachdem die Geschichte mit Jesus vorüber war. Jesus gekreuzigt, gestorben, begraben. Petrus erinnert sich immer wieder daran, wie ihn die Frauen erschreckten. Sie hatten eigenartige Geschichten erzählt, dass das Grab leer sei und ihnen Jesus begegnet war. Schnell war er zum Grab gelaufen und welch ein Schreck: Es war leer. Warum, weshalb, wie konnte das sein – Jesus war doch tot, richtig tot. Die Gedanken drehten sich in seinem Kopf – er konnte nicht verstehen.

Aber Fische fangen, das konnte er noch, das war doch sein Beruf. Und dann das: Die ganze Nacht war er mit den anderen draußen auf dem See und sie hatten keinen einzigen Fisch gefangen. Es erinnerte ihn an damals, als ihm Jesus zum ersten Mal begegnet war. Da war er auch die ganze Nacht auf dem See und hatte nichts gefangen. Die Erinnerung daran schmerzte Petrus. Wenn Jesus jetzt hier wäre, dann könnte es wieder so sein wie damals, als sie, weil ER es gesagt hatte, am helllichten Tag nochmal hinausfuhren, obwohl jeder Fischer weiß: kein Fisch geht da ins Netz. Aber sie fingen so viele Fische, dass die Netze zerrissen. Ja, Jesus müsste da sein. Aber das ist vorbei. Endgültig vorbei – Jesus ist tot und sein Leichnam geklaut oder sonst was.

Hören wir die Geschichte, die unser Predigttext erzählt. Er steht bei Johannes im 21. Kapitel:

2. Text

Jesus offenbarte sich abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. 3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. 7 Da spricht der Jünger, den Jesus liebhatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. 8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. 9 Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. 10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.
13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische. 14 Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.

2. Habt ihr nichts zu essen?

„Habt ihr nichts zu essen?“ Seltsame Frage des Fremden, der am Ufer steht und sieht, dass sie nichts gefangen haben. Beiläufig und einsilbig ist ihre Antwort, ohne ihn weiter zu beachten: „Nein!“ Sie sind ohne einen einzigen Fisch zurückgekommen. Aber der Fremde lässt sich nicht beirren: „Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden.“ Und es wiederholt sich, was Petrus schon einmal erlebt hat – damals: „Da warfen sie das Netz aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische“. Johannes, der Lieblingsjünger Jesu, begreift als erster was hier geschieht und wer der ist, den sie kaum beachtet hatten: „Es ist der Herr!“

3. Es ist der Herr

Liebe Schwestern und Brüder, auch heute ist uns Jesus oft ganz nahe und wir erkennen ihn nicht. Vielleicht sind wir auch zu beiläufig und in gewisser Weise einsilbig. Verwundert und erstaunt denken wir vielleicht an unseren Schutzengel, meinen „Glück gehabt“, können uns nicht erklären was geschehen ist und sprechen vom Zufall. Aber ER war da, er, der Herr!

Und er ist uns nahe in unserem Nächsten, der allein nicht mehr weiterkommt; Menschen an seiner Seite braucht, die sich seiner annehmen. „Es ist der Herr“, der sich erbarmt und nicht nur zuschaut. „Es ist der Herr“, der unsere Hände braucht als seine Hände, der unsere Liebe und unser Erbarmen braucht, als seine Liebe und sein Erbarmen. „Es ist der Herr“, der uns nahe kommt in einem Menschen, an dem wir nichts mehr menschliches und menschenwürdiges erkennen können. Menschen, vor denen wir uns ekeln, Menschen, die voller Bosheit und Gewalt sind, Menschen, betrunken, voller Gier, getrieben von Sucht, gefangen in ihrem Elend. „Es ist der Herr“, der uns in ihnen begegnet.

4. Das Netz reißt nicht, es hält

Als Petrus klar wird, dass es der Herr ist, den er verleugnet hat, ja geschworen hat, ihn nicht zu kennen, da hält ihn nichts mehr zurück. Er muss hin zu ihm – und zwar so schnell als möglich. Es brennt in seinem Herzen. Er zieht sein faltiges Obergewand an, das umgelegt und mit einem Gürtel zusammengehalten wurde, denn er wollte nicht mit nacktem Oberkörper vor seinen Herrn treten. Dann springt er ins Wasser, obwohl das Schiff schon fast das Land erreicht hatte und watet so schnell es geht ans Ufer zu Jesus. Dort, bei ihm, ist der Ort für sein schlechtes Gewissen, die Not seiner Seele.

Inzwischen ist auch das Boot mit den anderen Jüngern und dem Netz voller großer Fische an Land. Es waren 153. Sie hatten einen reichen Fang gemacht. Welch ein Überfluss, vielleicht aber auch Zeichen, dass noch viele Menschen zum Mahl erwartet werden. Johannes erzählt: „Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht“.

Es sind viele, die den von Jesus in die Welt hinausgesandten Jüngern glauben, durch ihr Wort, durch ihr Zeugnis, zum Glauben an Jesus kommen. Viele in aller Welt. Und diese Vielen zerren ganz schön am Netz des Glaubens, aber das Netz reißt nicht, es hält.

Manchmal machen wir uns Sorgen, ob das Netz des Glaubens an den Auferstandenen auch bei uns hier in Deutschland hält. Nicht einmal ein Drittel der bei uns lebenden Menschen nehmen den Auferstehungsglauben noch für sich in Anspruch. Er ist für viele bedeutungslos geworden und doch ist er das Zentrum unseres Glaubens: „Der Herr ist auferstanden! – „Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Das Netz reißt nicht, es hält.

Wir machen Erfahrungen von Ermüdung, schwindender Hoffnung, ausbleibenden Missionserfolgen, Streit über Konzepte und Kompetenzen, Entscheidungen für eine bestimmte Seite gegen eine andere u.ä. gehören ebenso zum gegenwärtigen Gemeindealltag, wie Erfahrungen unerwarteter Hilfe, mutmachender Herausforderungen, glaubensstärkender Vielfalt und ökumenischer Einigkeit.

Trotzdem, das Netz reißt nicht, es hält.

5. Kommt, haltet das Mahl – sie wussten, dass es der Herr war.

„Sie wussten, dass es der Herr war!“ „Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot.“ Jesus hatte das Mahl bereitet und aß mit ihnen Brot und Fische. Niemand hatte etwas dazugetan und geholfen. Sie wussten, dass es der Herr war, obwohl ihn niemand gefragt hatte. Die von den Jüngern gefangenen Fische waren nur die Zugabe.

Wie oft meinen wir, dass wir es schaffen müssen Gemeinde zu bauen. Ich weiß nicht, ob wir dabei nicht manchmal unserem Herrn kräftig ins Handwerk pfuschen, weil wir ihn nicht machen lassen. Weil wir vergessen haben, dass er es ist, der Gemeinde baut. „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ , hatte Jesus sehr ernst seinen Jüngern gesagt. Was wir können und tun ist nur Zugabe. Wir dürfen ihn machen lassen und hoffen und glauben, dass er es tut. Glaube wächst, weil Gott durch sein Wort zu uns spricht, weil er zu unserem Herzen und in unser Gewissen hineinspricht. Unsere Aufgabe ist: „Kommt, haltet das Mahl!“ Wir müssen nicht kochen. Jesus hat das Mahl zubereitet – er hat die Menschen zubereitet, dass sie glauben können. „Kommt haltet das Mahl!“ Dort ist zu finden, was der Mensch braucht: Vergebung seiner Schuld, Heilung seiner Gottesferne, Gottes Nähe und Freundlichkeit.

„Kommt haltet das Mahl!“ Wir tun das im Heiligen Abendmahl, das Jesus für uns bereitet hat. Wir tun das aber auch immer wieder, indem wir von Jesus erzählen und andere mit seinem lebendigen Wort stärken und seinem Glauben Nahrung geben, damit dieser wachsen kann und in Jesus festen Halt und Tiefe findet. Amen.

Hilf dir selbst

Predigt Karfreitag 2011
Lk 23, 33-49

33 Als sie an die Stätte kamen, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. 35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!
38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. 39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. 44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der a Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. 46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. 47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.



Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

1. Hilf dir selbst

„Hilf dir selbst!“ Dreimal hören wir das in der Erzählung des Arztes Lukas, der dabei ist und zusieht, wie ein Mensch einen schrecklichen Tod am Kreuz stirbt. Dreimal: „Hilf dir selbst!“ Menschen die sich schlecht benehmen, die Spott treiben mit einem der Todesqualen leidet und in wenigen Stunden den Tod durch Ersticken erleidet. „Und das Volk stand da und sah zu.“ Steht da und schaut betroffen zu - erbarmungslos, ohne Erbarmen.

2. Zuschauen

Zuschauen! Wir kennen das. Gaffer, die sich nicht sattsehen können an einem Unglück. Gaffer, die sich nicht sattsehen können am Grauen, am undenkbaren. Gaffer, die alles ganz genau sehen müssen - die Not anderer. Gaffer die behindern, statt zu helfen.
Zuschauen! Da ist einer gefallen, hat etwas getan, was man besser nicht tut, hat anderen geschadet. Nun ist er dran – jetzt wird ihm geschadet – gründlich – und da gibt es keinen „Notausgang“ mehr, damit er seine Würde bewahren kann. Zuschauen und laut oder leise denken: „Das kommt davon! Es geschieht ihm recht!“
Zuschauen! Da wird einer angepöbelt, kurz darauf niedergeschlagen und mit den Schuhen getreten, überall hin – auch ins Gesicht, ohne Rücksicht auf seine Gesundheit. Zuschauen und denken: Nichts wie weg!
Zuschauen! Schweigen, wenn eine Kollegin oder ein Kollege gemobbt wird. Leise denken: „Es gibt Leute, die verdienen so was“ – oder: „Bin ich froh, dass ich in Ruhe gelassen werde.“
Zuschauen! Wenn sich Kinder schlecht benehmen und keine Grenzen kennen.
Zuschauen, nur nicht einmischen. Was geht’s mich an?

3. Gerechtigkeit

Es gibt keine Gerechtigkeit, sagt sie. Ich sitze am Tisch in ihrer Küche. Sie deutet mit dem Kopf auf ein Bild über der Kommode. Er ist im Krieg geblieben. Vier Monate waren sie verheiratet. Eingezogen, Ostfront, noch einmal Urlaub. Dann kein Lebenszeichen mehr. Ihre Tochter, erzählt sie und weint, ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Seit Jahrzehnten ist sie allein. Kaltes Wohnzimmer, warme Küche. Angelaufene Fenster. Kartoffeln auf dem Gasherd. Sie wischt sich die Brille mit der Schürze.
Es gibt keine Gerechtigkeit mehr. Heute morgen hat sie erfahren, dass man ihr den gepachteten Garten wegnimmt. Nun wird er Firmengelände. Gut, sie tauschen. Aber das ist zu weit weg für mich, am anderen Ende der Stadt. Und noch einmal neu anfangen, mit 71?

Bitter sieht sie aus. Abgeschaffte Hände, abgeschaffte Seele, abgeschafftes Gesicht. Wer hat, der bekommt mehr. Der eine Geld, der andere Sorgen. Sie sagt es nicht ganz so zurückhaltend. Aber bald ist auch das 'rum. Das 'rum? Na ja, 71, sagt sie. Hätte ich einen Mann gehabt, dann hätten sie nicht so mit mir umspringen können.
Drei Wochen später bekommt sie auf der Straße einen Schlaganfall, fällt ungeschickt, stirbt noch am Unfallort. Verwandte sind keine da. Zur Beerdigung werden wenige ältere Frauen aus der Nachbarschaft kommen. Die Ansprache wird kurz sein. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Keiner, der dem Pfarrer ins Wort und der Organistin in den Arm fällt und sagt: So geht das doch nicht.
Und dann eines von den vielen Gräbern auf dem riesigen Friedhof. Nach Jahren verwildert, wenn sich keine mitleidige Hand findet. Es gibt keine Gerechtigkeit auf der Erde, nicht einmal auf dem Friedhof würde sie sagen.

Die Soldaten nehmen ihre Lanzen, den zerteilten Rock und gehen in die Kaserne. Sie haben ihren »Job getan«. Jesus ist tot. Ordentliche Arbeit, tausendfach erprobt an Juden, später an Christen. Scheintod ausgeschlossen. Auch das muss jemand tun. Wer redet von Moral?
Er ist der Zeuge für Gottes Gerechtigkeit. Immer wieder angekündigt: „... wird er, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen“ (Jes 53,11; 11,4f), der Mensch Gottes, der Zeuge der Gerechtigkeit Gottes auf Erden.
Nun hängt er, abgeurteilt nach römischem Recht, gefoltert und gedemütigt am Kreuz zwischen zwei Straftätern. Das ist die Gerechtigkeit, die auf Erden gilt. Wer die Macht hat, setzt das Recht. Der Tod hat das Sagen.
Karfreitag – Tag der Gottverlassenheit des Menschen. Karfreitagswetter, sagte man bei uns zu Hause, wenn es trübe, nasskalt war. Wenn es den ganzen Tag über nie richtig Tag wurde. Karfreitag, der Tag, an dem es nicht Tag wird.

4. Mit Spott prüfen

„Hilf dir selber!“ Da hängt er am Kreuz. Er, der kein Verbrechen begangen hat. Er, der sich um andere sorgt, Müde aufrichtet, Kranke heilt, Tote ins Leben ruft. Er hängt am Kreuz, weil er andere in die Quere kommt, ihre Macht in Frage stellt. Er muss sich mit Spott prüfen lassen: „Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.“ Durch Schmach und Qual wollen die Oberen des Volkes, die Soldaten und zuletzt einer der mit ihm Gekreuzigten prüfen, ob sein Anspruch, Gottes Sohn zu sein, auch berechtigt ist. Wenn ja, wird Gott ihm helfen.

Gott hängt am Kreuz. Von Menschen hingerichtet, gequält und geschlagen. Abgelehnt und gehasst. Von den Oberen denunziert und verspottet. Sie wollen einen anderen Gott. Am liebsten wären sie selbst Gott. Vielleicht ist das der Grund, warum sie so viel Hass und Spott über den Sohn des allmächtigen und lebendigen Gottes ausgießen. Selbst Gott sein wollen. Das ist bis zum heutigen Tage geblieben. Aber Gott möchte, dass wir ihm vertrauen und annehmen, was er für uns auf Golgatha getan hat. Annehmen, dass er für unsere Schuld mit seinem Blut bezahlt hat, damit wir frei und losgekauft sind von der Macht des Bösen.

5. Der Schächer am Kreuz

Einer der mit Jesus gekreuzigt war hat es verstanden, wer da neben ihm am Kreuz hing und was das für ihn bedeutet. Er hat hingeschaut auf das eigene Leben, auf die eigene Schuld, weist den anderen, der Jesus prüfen wollte, wie die Oberen und Soldaten, zurück: „Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“

Jesus, der leidende und sterbende Gottessohn nimmt sich, trotz der eigenen Qual und Pein, des Verbrechers neben ihm an und verheißt ihm den Lohn des Gerechten. Ihm, der sich seiner Schuld gestellt hat, der bereit war hinzusehen auf sein Leben und es vor Jesus zu bekennen, ihm nimmt Jesus die Schuld ab, legt sie bei sich aufs Kreuz und spricht ihn ledig und frei – vor Gott gerecht.

6. Wir am Karfreitag 2011

Ich denke, dass das auch unseres Sehnsucht ist, heute, am Karfreitag 2011, dass der gekreuzigte und auferstandene Herr und Heiland uns freispricht von all dem was in Gottes Augen keinen Bestand hat. Wir werden nachher Zeit haben, jeder für sich, sein Leben anzuschauen – hinzusehen auf das was uns schmerzt, auf das, was wir besser nicht getan hätten, auf das, was uns von Gott und von anderen Menschen trennt. Hinsehen auf das was Heilung und Vergebung braucht. In der Beichte und dem Heiligen Abendmahl, das wir anschließend feiern, bietet uns Gott die Vergebung unserer Schuld und einen Neuanfang an.

Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.