Einer der Herzenswünsche, vieler Menschen dieser Tage, ist der Wunsch nach Normalität. Dabei ist oft nicht ganz klar was wir uns unter Normalität vorstellen und wünschen: Dass es wieder so ist wie es vor Corona war und die ständige Bedrohung durch einen unsichtbaren Gegner ein Ende hat, gegen den umfassend noch kein Gegenmittel zur Verfügung steht. Viele wünschen sich das Leben ohne die doch belastenden Schutzmasken, ein Leben ohne Kontaktverbot mit anderen Menschen. Besuch eines Lokals, beim Frisör, eines bestimmten Geschäfts. Viele möchten sich in Ihren Gruppen treffen, dem Spielekreis, der Musikgruppe, im Chor, möchten ohne Abstand musizieren. Da ist das Sehnen nach Gottesdiensten, in denen wieder gesungen wird und unsere Kirchen voll sein dürfen.
Trotzdem: In dieser schweren Zeit gibt es trotzdem immer noch so etwas wie Normalität. Wir haben uns darauf eingestellt, wie wir, auch in schwierigen Zeiten, mit einander leben können und leben müssen.
Großbrand im Heizkraftwerk
Die vorige Woche war für uns aber eine Woche, in der alles an Normalität zusammengebrochen war was wir noch hatten. Begonnen hat es, am Dienstag, 09.02., mit einem Großbrand im uns nahen Heizkraftwerk Franken. Folge: Katastrophenalarm, Wärmedrosselung der Fernwärme auf 15°. Unsicherheit wie kalt es in unseren Wohnungen noch werden wird (mit -16° Außentemperatur wird gerechnet). Unsere erste Reaktion: Organisation von Stromheizgerät. Cristin, Abbruch von Homeoffice, nach entsprechendem Tausch, zurück in die warme Firma. Ich bleibe, mit warmen Sachen, in unserer Wohnung und halte die Stellung.
Handyfunknetze gestört
Fortsetzung im Verlust von Normalität war der Zusammenbruch des Handynetzes in unserer Region. Die Funknetze auf dem abgebrannten, 60 Meter hohen Heizkraftwerk, konnten nicht mehr senden und empfangen. Plötzlich merkten wir unsere Abhängigkeit von solchen Dingen, wie ein funktionierendes Handy.
Anrührende Begegnung
Mittwoch: Draußen wird es immer kälter. Nach der Verabschiedung von Cristin an unserer Wohnungstür, sie fährt in der Dunkelheit so gegen 6:15 Uhr in ihre Firma, saß, als ich die Türe wieder geschlossen hatte, eine winzig kleine, süße Fledermaus, mit ausgebreiteten Flügeln, am Fußboden. Sie schaute mich mit ihren kleinen, traurigen, kindlichen Augen an und redete mit mir, in einer Sprache die ich nicht verstand. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich fragte ob ich ihr helfen könne. Völlig überfordert hatte ich erstens keine Ahnung was ich jetzt machen könnte und zweitens von Fledermäusen. Wusste auch nicht wo ich Unterstützung und Hilfe bekommen könnte. Da lag aber die Rolle, unten an der Eingangstüre, welche vor der kalten Außenluft schützt. Die kleine Maus klammerte sich daran fest und ich konnte sie so vor die Türe in die Freiheit setzten, in der Hoffnung, dass sie wieder zu ihrer Familie fliegt. Problem erledigt. Am PC kümmerte ich mich anschließend um mein Nichtwissen, was den Umgang mit Fledermäusen betraf.
Besuch von der Feuerwehr
Am Abend waren wir unterwegs. Ich erzählte Cristin von der kleinen Fledermaus und wie diese in mein Herz gesprochen hatte. Als wir im Dunkel nach Hause kamen und das Licht einschalteten, flog, knapp an unseren Köpfen vorbei, eine Fledermaus direkt in unser Wohnzimmer. Türe zu. Sie war drinnen und wir konnten überlegen was zu tun sei. Die Feuerwehr war hilfsbereit und schickte zwei Beamte, die erzählten, dass sie bereits in einer anderen Wohnung eine Fledermaus eingefangen und ins Tierkrankenhaus gebracht hatten. Sie suchten alle Ecken unseres Wohnzimmers ab ohne die Maus zu entdecken. Nach einer guten Stunde rückten sie ab, nachdem sie uns Ratschläge gegeben hatten was zu tun sei wenn unser Gast wieder auftaucht.
Meister des Versteckens
Donnerstag: Cristin hängt sich ans Telefon und bekommt über das Tierkrankenhaus Kontakt zu einer Lehrerin, die eine Fledermausauffangstation betreut. Diese war sofort bereit, uns am Nachmittag zu besuchen um nach der Fledermaus zu suchen. Folge ihres Besuchs war, dass wir alles aus unserem Wohnzimmer räumten. „Diese kleinen Zwergfledermäuse sind Meister des Versteckens“ so das Credo unserer Beraterin.
Alles muss raus!
Freitag: Cristin ist bis Mittag im Büro. Am Nachmittag räumten wir alles aus unserem Wohnzimmer, stapelten es im Gang und in meinem Arbeitszimmer, durchsuchten jeden Winkel, Couch, Standuhr, auf den Schränken und hinter den Schränken, nichts! Später kam unsere Beraterin aus der Auffangstation vorbei, nachdem Christin hinter dem Wohnzimmerschrank ein Geräusch gehört hatte, das sich anhörte wie das Klagen der Fledermaus. Mit langen Stangen und gebündeltem, starkem Licht suchte sie hinter unseren Schränken. Nichts! Wir hatten jeden Winkel des Wohnzimmers umgedreht. Ich war inzwischen sicher, dass die Maus nicht mehr da war, wollte endlich wieder Normalität in meinem Leben – es nervte einfach nur. Cristin ließ sich trotzdem von ihr zeigen, wie sie die Fledermaus mit den Hilfsmitteln, die unsere Beraterin mitgebracht hatte, fangen könnte. Wieder kam ihr Credo: „Diese kleinen Zwergfledermäuse sind Meister des Versteckens“.
In der folgenden Nacht schlief Cristin nicht in ihrem Bett, sondern ruhte im Wohnzimmer um das Tierchen einzufangen wenn es aus seinem Versteck herauskäme. Es geschah nichts!
Ein bisschen Normalität
Am nächsten Morgen, inzwischen war es Samstag geworden, fing die völlig übermüdete Cristin an, alles, was wir noch nicht in den Fingern hatten, umzudrehen, auch den kleinen Schrank mit ihrer Videosammlung aus- und wieder einzuräumen. Nichts. Dann gingen wir zum Einkaufen fürs Wochenende. Es tat wohl wieder so etwas wie ein bisschen „Normalität“ zu spüren.
Noch eine Nacht in der verrückten Woche
Wir waren wieder allein, warteten auf die Nacht, weil Fledermäuse nachtaktive Tiere sind. Inzwischen hatten wir beide nur noch den einen Wunsch, dass wieder Normalität in unser Leben einziehen sollte. Um der Fledermaus die Möglichkeit zu geben aus ihrem Versteck herauszukommen, löschten wir alle Lichter in unserer Wohnung, bewaffneten uns mit Taschenlampen und setzten uns ins Arbeitszimmer, um dort einen Krimi anzuschauen.
Antonia ist gerettet
Cristin wollte noch etwas in der Küche holen, kam aufgeregt wieder: „Die Fledermaus fliegt im Wohnzimmer“. So standen wir im Wohnzimmer, wurden von der Fledermaus umkreist. Nirgendwo setzte sie sich nieder, so dass man sie hätte fangen können. Unsere Nerven waren auf das Äußerste gespannt. Endlich saß sie auf der Fensterbank zwischen den Blumen. Cristin war bei ihr, rief mir zu: „Das Tuch, schnell das Tuch, das Tuch, das Tuch!“ Hektik brach aus. Es war aufregend. Ich brachte ihr das Tuch, das uns die Fledermausexpertin dagelassen hatte, Cristin warf es über die Fledermaus und wickelte sie darin ein. Dann steckte sie das Tier in die Transporttasche und rief unsere Beraterin an, die erleichtert kam, das kleine Tier in die Hand nahm und untersuchte. Es hatte in unserer Wohnung nicht gelitten, war gut genährt (wir vermissen eine Spinne, die sich im Wohnzimmer aufgehalten hatte), litt keinen Durst und war ein Weibchen (eine Antonia, so hatten wir sie schon vorher getauft, Anton oder Antonia – wahrscheinlich wird sie uns im Frühjahr wieder besuchen).
Wieder Normalität
Nun hatten wir wieder unsere Normalität, die Heizung ging, die Türen konnten in unserer Wohnung wieder offen bleiben, da die Fledermaus nicht mehr bei uns unterwegs war, sondern in Richtung Auffangstation zu ihren Artgenossen, um dort in Ruhe zu überwintern. Nur das Handy geht immer noch nicht, und Corona ist weiterhin allgegenwärtig.
Nürnberg, 15.02.2021