5. Mose 6, 4-9
Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.
Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,
Der Enkel des Rabbiners wusste weder, wo der Baum war noch wo der ganze Wald war. Er ging zum Beten in das Dorf. Und Gott hörte ihn. Der Urenkel wusste weder, wo der Baum war noch der Wald noch das Dorf. Aber er kannte noch das alte Gebet. So betete er zuhause. Und Gott hörte ihn. Der Ururenkel schließlich kannte weder den Baum noch den Wald noch das Dorf noch das alte Gebet. Er kannte aber noch die Geschichte und erzählte sie seinen Kindern. Und Gott hörte ihn[1].
Unsere Kinder lernen, indem sie hören. Unsere Kinder kommen zum Glauben, indem sie von Gott hören. Und unsere Kinder lesen genau in den Erwachsenen, wie Gott ist. Dort hören sie wie über Gott und Glaube gesprochen wird, wie über Kirche und Gemeinde geschimpft und gelästert wird – sie lesen auch in den Erwachsenen wenn über Gott, Kirche und Gemeinde geschwiegen wird.
Das Gehörte, das immer wieder Gehörte prägt sich tief in uns ein. Über Jahrhunderte hat das Hörenkönnen den christlichen Glauben überliefert. Und das Gehörte meldet sich zu Wort, wenn es gebraucht wird: In Notzeiten, in Freudenstunden, in der Erziehung, beim Trösten. Das Hören ist für den Glauben entscheidend.
Paulus sagt: „Der Glaube kommt aus der Predigt, das Predigen aber aus dem Wort Gottes“.[2] Der Glaube kommt durch das Hören. Höre Jisrael! Wer Ohren hat zu hören, der höre! Ja, wo ist unsere Gemeinde? Hört sie? Ist sie unter dem Wort, um zu hören? Ich sehe viele leere Kirchenbänke – wie soll der Glaube unserer Gemeinde wachsen, wenn sie nicht zum Hören kommt?
Hören ist Geschenk. Wer nicht, oder nur sehr schwer hören kann, dem wird das verzweifelt deutlich. Wenn Hören ein Geschenk ist, bedarf es eigentlich keiner Aufforderung, die Ohren aufzumachen. Aber wer hört heute schon gerne zu, nimmt das Geschenk des Hörens mit Freuden wahr? Heute hat das Sehen Vorrang. Die Flut von Bildern, die überall unsere Wahrnehmung überschwemmt, lässt sich kaum eindämmen. Sie besetzt das Gehirn, verbraucht die Kapazität der Aufnahmefähigkeit und nimmt dem Hören viele Chancen. Und wo dem Hören noch Raum bleibt, da wird es vielfach zugedröhnt.
Die Juden haben die Aufforderung „Höre!" in ihren Türlaibungen angebracht, als wüssten sie um die Gefährdung des wunderbaren Geschenkes, hören zu können. Und Jesus hat ‑ wohl wissend um dieses Problem ‑ tiefsinnig den Satz geprägt: Wer Ohren hat, der höre! Bis in die Offenbarung des Johannes hinein klingt dieser überhaupt nicht oberflächliche Satz nach. Die Gefährdung des Hörens und damit des christlichen Glaubens heute liegt auf der Hand. Letztlich kann nur durch das Hören auf Gottes Wort unser Glaube wachsen, reif und stark werden.
Gottes Stimme spricht leise zu uns. Nicht aufdringlich, sondern behutsam. Es braucht Zeit und Ruhe, damit wir seine Stimme hören. So wie jetzt hier, in unserer Kirche. Alles Laute ist draußen geblieben und wir hören. Auch ich höre, wenn ich predige. Ich höre in mich hinein. Vorher hab ich am Schreibtisch gesessen und gehört. Mit viel Zeit. Mit viel Ruhe. Und jetzt hören wir gemeinsam. Wer Ohren hat zu hören, der höre.
Hören, Zuhören ist eine Kunst, die gelernt und geübt werden will. Richtig zuhören, nicht schon wissen, was der andere sagen will, bevor er richtig angefangen zu reden. Ich denke wir haben die Kunst des Zuhörens vielfach verlernt. Wir können sie lernen von Israel.
Höre Israel! So beginnt es bei den Juden: In der Familie sitzt der Vater am Tisch, es ist Sabbat. Und er entzündet eine Kerze. Und dann fängt er an zu erzählen. Er erzählt die Geschichte vom Auszug aus der Knechtschaft in Ägypten, von der Befreiung durch Gott, der auch heute immer noch befreit.
Wer Ohren hat, zu hören, der höre. So könnte es auch in unseren Häusern wieder beginnen. Am Kinderbett abends sitzen Mutter oder Vater, Großmutter oder Großvater, es wird still, und vor dem Abendgebet beginnt das Erzählen. Vielleicht so: Jesus steht am Rand des goldgelben Kornfeldes. Die Ernte ist nah. Hinter ihm glitzert das Wasser des großen Sees. Eine große Menschenmenge hat sich versammelt, ganz in seiner Nähe sind seine Jünger, die immer mit ihm gehen. Alle wollen ihn hören. Noch schweigt er, hat den Kopf in seine Hand gestützt und schaut über das reiche Kornfeld, das im Wind leise schwingt. Vielleicht denkt er: So viele Körner, so viel Brot! Und doch so viel Hunger unter diesen Menschen, Hunger nach Brot, Hunger nach Liebe, Hunger nach einem guten Wort, nach Heilung von einer Krankheit, Hunger nach Gott.
Plötzlich beginnt er: ,Hört zu! Gott schenkt so viel, dass alle satt werden können. Ich sage es euch, und ihr hört es jetzt. Aber mit dem Hören ist das so: Stellt euch einen Sämann vor: im Frühjahr geht er mit großen Schritten über den leeren Ackerboden; er hat ein großes Tuch vor dem Bauch, vollgefüllt mit goldenen Saatkörnen, und mit der rechten Hand streut er nun den Samen aus, damit ein goldenes Kornfeld heranwachse. Und einige Körner fallen auf den Weg und die Vögel kommen und picken alles weg. Andere fallen auf felsigen Boden mit wenig Erde, sie können nicht tief wurzeln. Schnell geht die Saat auf, zu schnell, und als die brennende Sonne aufgeht, verwelken die Pflänzchen und verdorren. Einige Körner fallen in das Dornengestrüpp, das wächst und wächst und erstickt die aufkeimende Saat. Andere Körner fallen auf gutes Land, gehen auf, wachsen und bringen viel Frucht: aus einem Korn werden dreißig, sechzig, ja hundert neue Körner, die sich in ihrer Ähre nun im Wind wiegen. Ihr seht es hier. Ich sage es noch mal zu euch: Wer Ohren hat zu hören, der höre:'
Ein Raunen geht durch die Menge der Menschen, denn viele haben zugehört und verstanden." Und die Mutter streichelt dem einschlafenden Kind über den Kopf ...
Geheimnisvolle Geschichten hat Jesus erzählt, liebe Gemeinde. Und bis heute lüften sie ihr Geheimnis auf ebenso geheimnisvolle Weise: dem Hörenden wird der Glaube geschenkt. Amen.
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