16.04.2008

Predigt zum Sonntag Kanate 2008

Predigt Offenbarung 15,.2-4

Und ich sah, und es war wie ein gläsernes Meer, mit Feuer vermengt; und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwerstern und Brüder in Christus,

am vergangenen Sonntag haben sie wieder gesungen, die Fans des FC Bayern. 5:0 gegen Dortmund, das war Grund zur Freude, Grund zum Singen: Lieder, um die eigene Mannschaft anzufeuern, Lieder um den Gegner zu demoralisieren. Lieder, welche die eigene Freude ausdrücken und eine gewisse Stimmung verbreiten. Aus dem Stadion wird nicht zuletzt durch den Gesang ein, wie man so sagt, emotionaler „Hexenkessel“.

Vor zwei Wochen hatten wir hier, in dieser Kirche, Konfirmation. Das Gotteshaus war gesteckt voll. Ein ständiger Geräuschpegel begleitete das große Fest unserer jungen Leute. Es war nie still im Raum. Viele fühlten sich dadurch gestört. Eigentlich eine beschämende Veranstaltung, obwohl alles mit soviel Liebe vorbereitet und hergerichtet war. Gesungen hat kaum jemand. Vielleicht die Pfarrerin, der Diakon und die Konfirmanden – ein paar Gemeindeglieder, vielleicht. Aber der Mund hat sich bei vielen bewegt, ohne Ende, nicht zum Gesang, sondern zur Unterhaltung. Gut, singen kann man nicht befehlen. Das muss von innen heraus kommen. Singen drückt eine bestimmte Stimmungslange aus. Singen ist Teil meiner Begeisterung und meiner Befindlichkeit. Singen kann Ausdruck guter Laune sein aber auch der Trauer. Nicht umsonst gibt es fröhliche Lieder – aber auch ganz traurige. Wer traurig ist und Probleme hat, dem fällt es schwer, ein fröhliches Lied anzustimmen. Es kommt ihm eher die alte Leier über die Lippen, von dem was belastend ist.

Unser heutiger Sonntag heißt Kantate, zu deutsch: Singet! Singet! Ein Befehl. Den Befehl zu singen gibt es nur bei Militär: Ein Lied, zwei, drei!

Unser heutiger Sonntag fordert uns auf, Gott zu Ehren zu singen. Gott zu Ehren einen Lobpreis zu singen. Ein Lied, das Gott lobt und ehrt. Das Singen muss ja gar nicht musikalisch perfekt sein, aber es muss sich Luft machen, dass ich mich über Gott freue und ihm zu danken möchte. Wie soll ich ihm denn danken, meine Worte sind doch viel zu schwach, zu alltäglich, zu gewöhnlich, abgegriffen. Mit meiner Singstimme kann ich das Lob Gottes aber um ein mehrfaches lauter in die Welt hinausschreien, als mit meiner Sprechstimme. Mit der Musik lässt sich viel mehr ausdrücken, als durch Worte. Aber wir bleiben oft so seltsam stumm! Auch hier im Gottesdienst, wenn dran ist, Gott ein Lied zu singen. Lieber begeben wir uns in die Rolle des Zuschauers, anstatt uns aktiv am Lob Gottes zu beteiligen.

Dabei ist Singen eine wunderbare Gabe Gottes, welche die babylonische Sprachverwirrung aufheben kann, eine Gabe, die uns verändert. Singen verändert unsere Befindlichkeit unsere Psyche und ist auch aus medizinischer Sicht gesund. Gasaustausch und Stoffwechsel werden angeregt. Durch Singen steigert sich unser Wohlbefinden, wir werden beschwingt, Lasten fallen ab, es geht uns gut. Und wenn wir zum Lobe Gotttes singen, dann spüren wir, wie sich auch unser Verhältnis zu Gott ändert. Gott wohnt im Lobpreis. Mit unserem Lobpreis kommen wir direkt vor den Thron Gottes, spüren seine Gegenwart und Nähe. Alles in uns ist angesprochen. Unser Reden unser Schwätzen, in den Gottesdiensten wird viel geschätzt, auch von Pfarrern, wirkt oft belehrend und spricht nur unseren Kopf an, weniger unsere Gefühle.

Singen hat wundersame Kraft und kann tief in unseres Innerstes eindringen. Wir erleben das auch immer wieder an Sterbebetten, wenn Menschen am Ende ihres Lebens angekommen sind.

Ich habe immer wieder mal an einem Sterbebett, im Angesicht des Todes zu singen begonnen:
1. Christus, der ist mein Leben,
Sterben ist mein Gewinn;
ihm will ich mich ergeben,
mit Fried fahr ich dahin.
Philipper 1,21
2. Mit Freud fahr ich von dannen
zu Christ, dem Bruder mein,
auf daß ich zu ihm komme
und ewig bei ihm sei.
4. Wenn meine Kräfte brechen,
mein Atem geht schwer aus
und kann kein Wort mehr sprechen:
Herr, nimm mein Seufzen auf.
6. Alsdann laß sanft und stille,
o Herr, mich schlafen ein
nach deinem Rat und Willen,
wenn kommt mein Stündelein.
7. In dir, Herr, laß mich leben
und bleiben allezeit,
so wirst du mir einst geben
des Himmels Wonn und Freud.

Wenn wir singen, dann einkehrt Frieden ein. Dann dringen die Worte in die Herzen, sind Balsam für unsere Seele und Stärkung in der Todesangst. Plötzlich kehrt auch in einem Sterbezimmer Frieden ein. Dann gehen die Türen zum Himmel auf und lassen uns ahnen, was auf den, der in Kürze unsere Welt verlassen will, wartet – die Freude bei Gott zu sein und in seinem Frieden ruhen zu dürfen. Singen, ist ein Geschenk Gottes, das Sprachen und Kulturen und oft auch unsere Trostlosigkeit und Angst überwindet.

Liebe Gemeinde, schauen Sie, unsere kleinen Kinder an. Sie singen gerne und mit Begeisterung, zu Hause oder in den Kindergärten. Sie singen, wenn sie ganz versunken spielen, sie singen und wir fühlen, dass sie mit sich im Einklang sind, und es ihnen gut geht.

Wie heißen unsere Lieder? Was ist ihr Inhalt? Sind es Spottlieder auf andere oder Lieder, die bestimmte Menschen oder Krieg verherrlichen? Das sind die Lieder der Welt.

Kirche singt immer ein anderes Lied als die Welt. Sie singt das Lied der Anbetung Gottes und des Widerstandes gegen Not und Elend, gegen Leid und Tod. Ich weiß, dass das ein hoher Anspruch ist. Aber an diesem Anspruch sollten wir uns als Kirche messen lassen. Diktatoren lassen sich in Liedern und Kantaten von ihrem Volk bejubeln. Sie lassen Propagandalieder singen bei Massenveranstaltungen oder anderen Ereignissen. Christen setzten gegen alle Propaganda dieser Welt, gegen alle weltlichen Mächte und Gewalten das Bekenntnis ihres Glaubens. Es ist ihre Verantwortung, dass sie dem Willen Gottes gehorchen, sich gegen das Böse stellen und ihm die Macht absprechen und nicht mitmachen, wo Gottes Gebote missachtet werden. Sie singen Lieder auch in Drangsalen und Verfolgung und zeigen damit, wer wirklich die Macht hat und Herr über die Geschichte ist. Sie verunsichern und verwirren damit ihre Unterdrücker, weil diese spüren, dass es eine Macht gibt, über die sie nicht gebieten können. Eine Macht, die Menschen Freude schenkt und Kraft auch im Leiden.

In Max Frischs Theaterstück »Nun singen sie wieder« streiten sich in der ersten Szene Karl und Herbert, zwei deutsche Soldaten. Sie sind Mitglieder eines Hinrichtungskommandos. Karl wird nach der Erschießung von 21 Geiseln, die bis zu ihrem Tod standhaft gesungen haben, schwermütig. In der Folgezeit hört er immer wieder den Gesang der Getöteten. Bis zu dieser Exekution hatte die Zivilbevölkerung vor den feindlichen Soldaten Angst gezeigt und war bereit gewesen, sich selbst zu verleumden. Auch einen russischen Popen zwangen die Soldaten, falsch zu schwören. Herbert, der Kommandant, sagt darauf. »Und der Geist, der höher als unsere Macht sein soll, wo ist er denn? Wo ist er denn, dieser Gott, den sie an alle Wände malen, jahrhundertelang, den sie im Munde führen? Ich sehe und höre ihn nicht!« Darauf erwidert Karl: »Vor einer Stunde haben sie gesungen!«

Karl desertiert schließlich und flieht nach Hause. Dort entdeckt ihn sein Vater im Keller. Als er ihn zur Rede stellt und ihn dringend auffordert, wieder an die Front zurückzukehren, weigert sich Karl. Er fragt seinen Vater, ob er schon einmal auf wehrlose Menschen geschossen habe, die dazu gesungen hatten. Der Vater versucht seinem Sohn mit verschiedenen Argumenten die Schuldgefühle zu nehmen. Als Karl spürt, dass er nicht verstanden wird, beginnt er das Lied der Geiseln zu singen.

Karl singt das Lied der Geiseln. Er spürt die Kraft, die aus dem Gesang kommt und er weiß, dass er niemals mehr auf wehrlose, singende Menschen schießen will und kann. Er hat gesehen, wie die Geiseln ruhig, ohne sich zu wehren, singend in den Tod gingen. Er hat die Botschaft der singenden Menschen verstanden: Ihr könnt uns das Leben nehmen, aber nicht das, was wir im Herzen tragen, den Glauben an Gott und an eine bessere Zukunft. Er hat gesehen, welche Kraft diese Menschen aus ihren Liedern geschöpft haben. - Auch aus der Zeit der Christenverfolgungen in Rom, durch Nero, wird berichtet, dass die Christen gesungen hatten, bevor sie in den Tod gingen.

Heute ist der Sonntag Kantate: Singet! Wir denken an diesem Sonntag voller Dankbarkeit an den Liederschatz unserer Kirche. Sie verherrlichen Gott. Sie loben ihn, der Himmel und Erde geschaffen hat und erhält. Es sind Lieder, die von Gott alles erwarten, Lieder, die ihm alles bringen, Freude und Trauer, Leben und Tod. Wenn wir in unsere Bibel hineinschauen, dann finden wir dort auch einen großen Schatz an Liedern. Ich denke da jetzt ganz besonders an die 150 Psalmen, die das erste Liederbuch von Menschen sind, die an den lebendigen Gott glauben.

Heute haben wir einen riesigen Schatz von Liedern in unseren Gesangbüchern. Viele, viele Lieder sind in den letzten Jahren entstanden. Diese neuen Lieder singen wir bei uns vor allem in den Gottesdiensten im Gemeindehaus. Ich würde uns zum Sonntag Kantate wünschen, dass wir viel mehr singen, dass wir laut singen, unsere Freude über Gott hinausjubeln, damit wir weg kommen von den Trauerliedern des Lebens, das uns manchmal so hoffnungslos und traurig macht. Lieder können unser Herz bestimmen, Lieder können uns fröhlich machen und in unserem Glauben bestärken und gründen. Darum, lasst uns singen – Lieder für Gott singen und nicht die Trauerlieder des Lebens. Amen.

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