01.04.2008

Ansprache Karfreitag

Predigt Jes 52, 13-15; 53, 1-12

Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, so wird er viele Heiden besprengen, daß auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken.

Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, a litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist. So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben, dafür daß er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und b für die Übeltäter gebeten.

Liebe Gemeindeglieder
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

im letzten Haus des Dorfes, einem alten, halb zerfallenen Speicher, wohnte ein buckliger Mann ganz allein. Er wurde von allen gemieden, denn er war wegen Brandstiftung mit einer schweren Freiheitsstrafe belegt worden. Er hatte einst die Mühle des Dorfes angezündet.

Nach langen Jahren kam er aus dem Gefängnis zurück, menschenscheu und noch zusammengefallener als früher. Sogar zum Kinderschreck war er geworden, denn wenn die Kinder nicht brav sein wollten, drohten die Mütter mit dem Zuchthäusler, der sie holen würde.

Nur einer kümmerte sich um den Ausgestoßenen, und das war der Müller, dem der Bucklige dieses Unrecht angetan hatte. Jeden Sonntagnachmittag saß der Müller bei dem Geächteten, und niemand konnte begreifen, was er dort zu tun hätte. Erst redete man darüber, dann wurde es ruhig über dieser Schrulle des Müllers. Und so ging es noch manches Jahr.

Der Bucklige starb. Hinter seinem Sarg gingen der Pfarrer und der Müller - sonst keiner mehr. Denn wenn erst einer aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen ist, gibt es keine Barmherzigkeit mehr, auch im Tod nicht.

Und wieder nach einiger Zeit klopfte der Tod auch bei dem Müller an, und diesmal ging der Pfarrer nicht allein hinter dem Sarg. Das ganze Dorf folgte, denn der Müller war eine Respektsperson. Der Pfarrer sprach über ein Trost- und Bibelwort. Aber die Leute begannen erst da aufzuhorchen, als er folgendes erzählte: „Ihr habt euch oft gewundert, dass der Müller so freundlich zu dem Buckligen war. Heute sollt ihr den Grund erfahren. Kurz vor seinem Tod hat mir der Müller gebeichtet, dass er seine Mühle selbst angezündet habe, und er wäre dafür unfehlbar ins Zuchthaus gekommen.

Der Bucklige hatte die Gewohnheit, öfters in der Nacht noch draußen umherzustreichen, und da hatte er wohl den Müller bei seiner Tat beobachtet. Da kam der Bucklige eines Abends zu ihm und erklärte, er habe keinen Menschen auf der Welt, er wolle sich darum als Brandstifter ausgeben und alle Schuld auf sich nehmen, damit der Müller und seine Familie nicht ins Unglück kämen.

So konnte bei der Gerichtsverhandlung dann auch nachgewiesen werden, dass der Angeklagte in der Brandnacht nahe der Mühle gesehen worden sei. Viel Sympathien genoss er ohnehin nicht im Dorf, so wurde er denn verurteilt. Jahrelang hat dann der einsame Mann die fremde Schuld getragen, als Stellvertreter des Müllers. Dem Mann hier im Sarg hat Gott seine Schuld vergeben. Bitten wir nun Gott, dass er unsere Schuld dem Buckligen gegenüber auch vergebe, und lasst uns sein Andenken in Ehren halten.”[1]

Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.

Es gibt Menschen, die wir für nichts achten, von denen wir denken, dass sie ganz schwach sind. Menschen, die so gar nichts von sich hermachen, und nicht unseren Vorstellungen eines dynamischen und erfolgreichen Menschen entsprechen. Ich kenne solche Menschen und ich kenne auch die Stärke und Kraft, die sich hinter solchen Menschen verbergen kann. Jesus war auch so einer, dem zwar viele nachgefolgt sind, und dann waren sie alle weg und haben „kreuzige ihn“ gerufen. Sogar seine Vertrauten und Freunde, die Jünger, sind davongelaufen.

Und auch heute scheiden sich die Geister an Jesus. Viele achten es für nichts, was Jesus für uns getan hat, was da auf Golgatha geschehen ist. Wo sind sie denn heute, die tönen, dass sie Glauben haben. Ja, mit denen von der Kirche will man nichts zu tun haben – so sagt man wenigstens. Mit denen von der Kirche – das sind die, die an Jesus glauben, ihm vertrauen. Es lässt sie kalt, obwohl sie in den Namen Jesu hineingetauft sind. Es ist für sie Kirche, der man sowie so nicht trauen darf und es sind für sie fehlbare Menschen, die zu dieser Kirche gehören. Sie meinen: Kirche und Glaube, das ist etwas für alte Menschen, Behinderte und Kranke. Und es treibt sie auch nicht um Jesu willen in die Gotteshäuser, wo heute dem schrecklichen Geschehen vom Golgatha gedacht wird.

Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.

Es ist heilsam, sich damit auseinanderzusetzen, was auf Golgatha geschehen ist. Möglich, dass uns dabei Fragen plagen, über die wir nachdenken müssen. Vielleicht wird auch mache dieser Fragen aus dem Zweifel heraus geboren. Vielleicht spüren wir auch Widerspruch in uns. Da steht in unserem heutigen Text: „Fürwahr er trug unsere Krankheit ...“ Er hat unsere Krankheit mit an sein Kreuz genommen. Unsere Krankheit trug er? Wie kann einer meine Krankheit tragen? Der Gedanke hat ja was: Mein Bluthochdruck oder meine Arthritis im linken Knie – einfach wie weggeblasen! Übertragen auf einen anderen. Mag er zugrunde gehen!

Nur: Was nützt ein „Arzt“, den die Krankheiten seiner „Patienten“ umbringen?

Wir müssen anders fragen was es heißt: Einer „trägt“ meine Krankheit. Wenn jemand sagt: „Du machst mich krank!“ – dann ist ziemlich sicher nicht gemeint: „Du steckst mich mit deiner Grippe an.“

„Du machst mich noch krank!“ – so lautet der verzweifelte Vorwurf eines Menschen, der mit dir nicht klar kommt. Was ist an dir so ungesund und schädlich, dass er deinetwegen krank wird?

Da ist vieles, was Menschen an einander krank macht: das ewige Nörgeln, Rechthaberei, Lieblosigkeit und Unverständnis. Viele halten es einfach nicht mehr aus, so nebeneinander herzuleben, ohne zu wissen was der andere wirklich denkt und fühlt. Taktlosigkeiten, dass sich der oder die andere so wenig unter Kontrolle hat und andere mit ihren Launen und Zicken belastet. Nicht wissen wie man dran ist und die Angst davor ein verkehrtes Wort zu sagen. All das muss von den anderen getragen werden, ob sie das wollen oder nicht und es macht das Zusammenleben zur krankmachenden Qual.

Am Arbeitsplatz von Kollegen gemobbt zu werden, die sich lauthals darüber beschweren gemobbt zu werden, dabei aber selbst ohne Ende mobben. Es macht krank, in solchen Verhältnissen sein Brot verdienen zu müssen.

Oft sind es die Verhältnisse, in denen manche leben und überleben müssen, die bis zum krank werden getragen werden müssen. Der Lohn, der kaum zum nötigsten reicht. Finanzielle Sorgen, die einfach kein Ende nehmen und das bestimmende Thema sind – jeden Tag neu. Die Enge in der Wohnung, in der man sich auf den Wecker geht, aber eine größere trägt es nicht.

Das alles kann uns krank machen und irgendwann zum Beziehungsinfarkt führen, bis der Wunsch immer stärker wird aus allem auszubrechen, weg, einfach nur weg, raus aus dieser Situation.

Gott kennt das auch, dass ihn Beziehung krank macht. Aber eigentlich müsste ich sagen, dass ihn unsere Nichtbeziehung zu ihm krank gemacht hat. Er trägt schwer an uns.

Es hat ihn krank gemacht, dass sich der Mensch von Anfang an von ihm abgesondert hat und eigene Wege gegangen ist. Es lässt Gott auch nicht kalt, was sich Menschen untereinander antun. Er bezieht es auf sich. Darum können wir im Matthäusevangelium lesen: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen, und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.“[2]

Gott bezieht es auf sich, was wir uns gegenseitig antun. Wenn unsere Beziehung zu anderen Menschen gestört ist, dann ist auch unsere Beziehung zu ihm gestört.

Wer kann diese Schuld tragen? Unsere Schuld gegenüber Gott und dem anderen Menschen?

Wer kann meine Schuld tragen? Wer kann sie forttragen, wegschaffen, beseitigen aus meinem Leben? Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Hier ist einer, der meine Schuld trägt, die Strafe, die ich verdient habe.

Man könnte denken: Kein Tag vergeht, ohne dass Christus irgendwo auf der Welt noch einmal gekreuzigt wird. Aber es vergeht auch kein Tag, an dem Menschen nicht erfahren: Er, unser Gott hat unser Leben geheilt! Unsere Gemeinschaft ist durch ihn genesen. Die Krankheit ist auskuriert, deren Ursache wir selbst waren. Keiner, der sagt: „Du machst mich krank!“ Nein es heißt jetzt: „Ich kann dir wieder ins Gesicht sehen.“ Gott sei Dank wir haben uns wieder erholt von unserem tödlichen Siechtum!

Dir Gott sei Dank! Gib unserem Leben Zukunft. Wir möchten dich nicht kränken. Hilf uns Heil zu werden durch Christus. Amen.



[1] Axel Kühner Textarchiv 542

[2] Mt 25, 40-46

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