27.05.2011

Hilf dir selbst

Predigt Karfreitag 2011
Lk 23, 33-49

33 Als sie an die Stätte kamen, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. 35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!
38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. 39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. 44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der a Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. 46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. 47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.



Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder,

1. Hilf dir selbst

„Hilf dir selbst!“ Dreimal hören wir das in der Erzählung des Arztes Lukas, der dabei ist und zusieht, wie ein Mensch einen schrecklichen Tod am Kreuz stirbt. Dreimal: „Hilf dir selbst!“ Menschen die sich schlecht benehmen, die Spott treiben mit einem der Todesqualen leidet und in wenigen Stunden den Tod durch Ersticken erleidet. „Und das Volk stand da und sah zu.“ Steht da und schaut betroffen zu - erbarmungslos, ohne Erbarmen.

2. Zuschauen

Zuschauen! Wir kennen das. Gaffer, die sich nicht sattsehen können an einem Unglück. Gaffer, die sich nicht sattsehen können am Grauen, am undenkbaren. Gaffer, die alles ganz genau sehen müssen - die Not anderer. Gaffer die behindern, statt zu helfen.
Zuschauen! Da ist einer gefallen, hat etwas getan, was man besser nicht tut, hat anderen geschadet. Nun ist er dran – jetzt wird ihm geschadet – gründlich – und da gibt es keinen „Notausgang“ mehr, damit er seine Würde bewahren kann. Zuschauen und laut oder leise denken: „Das kommt davon! Es geschieht ihm recht!“
Zuschauen! Da wird einer angepöbelt, kurz darauf niedergeschlagen und mit den Schuhen getreten, überall hin – auch ins Gesicht, ohne Rücksicht auf seine Gesundheit. Zuschauen und denken: Nichts wie weg!
Zuschauen! Schweigen, wenn eine Kollegin oder ein Kollege gemobbt wird. Leise denken: „Es gibt Leute, die verdienen so was“ – oder: „Bin ich froh, dass ich in Ruhe gelassen werde.“
Zuschauen! Wenn sich Kinder schlecht benehmen und keine Grenzen kennen.
Zuschauen, nur nicht einmischen. Was geht’s mich an?

3. Gerechtigkeit

Es gibt keine Gerechtigkeit, sagt sie. Ich sitze am Tisch in ihrer Küche. Sie deutet mit dem Kopf auf ein Bild über der Kommode. Er ist im Krieg geblieben. Vier Monate waren sie verheiratet. Eingezogen, Ostfront, noch einmal Urlaub. Dann kein Lebenszeichen mehr. Ihre Tochter, erzählt sie und weint, ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Seit Jahrzehnten ist sie allein. Kaltes Wohnzimmer, warme Küche. Angelaufene Fenster. Kartoffeln auf dem Gasherd. Sie wischt sich die Brille mit der Schürze.
Es gibt keine Gerechtigkeit mehr. Heute morgen hat sie erfahren, dass man ihr den gepachteten Garten wegnimmt. Nun wird er Firmengelände. Gut, sie tauschen. Aber das ist zu weit weg für mich, am anderen Ende der Stadt. Und noch einmal neu anfangen, mit 71?

Bitter sieht sie aus. Abgeschaffte Hände, abgeschaffte Seele, abgeschafftes Gesicht. Wer hat, der bekommt mehr. Der eine Geld, der andere Sorgen. Sie sagt es nicht ganz so zurückhaltend. Aber bald ist auch das 'rum. Das 'rum? Na ja, 71, sagt sie. Hätte ich einen Mann gehabt, dann hätten sie nicht so mit mir umspringen können.
Drei Wochen später bekommt sie auf der Straße einen Schlaganfall, fällt ungeschickt, stirbt noch am Unfallort. Verwandte sind keine da. Zur Beerdigung werden wenige ältere Frauen aus der Nachbarschaft kommen. Die Ansprache wird kurz sein. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Keiner, der dem Pfarrer ins Wort und der Organistin in den Arm fällt und sagt: So geht das doch nicht.
Und dann eines von den vielen Gräbern auf dem riesigen Friedhof. Nach Jahren verwildert, wenn sich keine mitleidige Hand findet. Es gibt keine Gerechtigkeit auf der Erde, nicht einmal auf dem Friedhof würde sie sagen.

Die Soldaten nehmen ihre Lanzen, den zerteilten Rock und gehen in die Kaserne. Sie haben ihren »Job getan«. Jesus ist tot. Ordentliche Arbeit, tausendfach erprobt an Juden, später an Christen. Scheintod ausgeschlossen. Auch das muss jemand tun. Wer redet von Moral?
Er ist der Zeuge für Gottes Gerechtigkeit. Immer wieder angekündigt: „... wird er, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen“ (Jes 53,11; 11,4f), der Mensch Gottes, der Zeuge der Gerechtigkeit Gottes auf Erden.
Nun hängt er, abgeurteilt nach römischem Recht, gefoltert und gedemütigt am Kreuz zwischen zwei Straftätern. Das ist die Gerechtigkeit, die auf Erden gilt. Wer die Macht hat, setzt das Recht. Der Tod hat das Sagen.
Karfreitag – Tag der Gottverlassenheit des Menschen. Karfreitagswetter, sagte man bei uns zu Hause, wenn es trübe, nasskalt war. Wenn es den ganzen Tag über nie richtig Tag wurde. Karfreitag, der Tag, an dem es nicht Tag wird.

4. Mit Spott prüfen

„Hilf dir selber!“ Da hängt er am Kreuz. Er, der kein Verbrechen begangen hat. Er, der sich um andere sorgt, Müde aufrichtet, Kranke heilt, Tote ins Leben ruft. Er hängt am Kreuz, weil er andere in die Quere kommt, ihre Macht in Frage stellt. Er muss sich mit Spott prüfen lassen: „Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.“ Durch Schmach und Qual wollen die Oberen des Volkes, die Soldaten und zuletzt einer der mit ihm Gekreuzigten prüfen, ob sein Anspruch, Gottes Sohn zu sein, auch berechtigt ist. Wenn ja, wird Gott ihm helfen.

Gott hängt am Kreuz. Von Menschen hingerichtet, gequält und geschlagen. Abgelehnt und gehasst. Von den Oberen denunziert und verspottet. Sie wollen einen anderen Gott. Am liebsten wären sie selbst Gott. Vielleicht ist das der Grund, warum sie so viel Hass und Spott über den Sohn des allmächtigen und lebendigen Gottes ausgießen. Selbst Gott sein wollen. Das ist bis zum heutigen Tage geblieben. Aber Gott möchte, dass wir ihm vertrauen und annehmen, was er für uns auf Golgatha getan hat. Annehmen, dass er für unsere Schuld mit seinem Blut bezahlt hat, damit wir frei und losgekauft sind von der Macht des Bösen.

5. Der Schächer am Kreuz

Einer der mit Jesus gekreuzigt war hat es verstanden, wer da neben ihm am Kreuz hing und was das für ihn bedeutet. Er hat hingeschaut auf das eigene Leben, auf die eigene Schuld, weist den anderen, der Jesus prüfen wollte, wie die Oberen und Soldaten, zurück: „Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“

Jesus, der leidende und sterbende Gottessohn nimmt sich, trotz der eigenen Qual und Pein, des Verbrechers neben ihm an und verheißt ihm den Lohn des Gerechten. Ihm, der sich seiner Schuld gestellt hat, der bereit war hinzusehen auf sein Leben und es vor Jesus zu bekennen, ihm nimmt Jesus die Schuld ab, legt sie bei sich aufs Kreuz und spricht ihn ledig und frei – vor Gott gerecht.

6. Wir am Karfreitag 2011

Ich denke, dass das auch unseres Sehnsucht ist, heute, am Karfreitag 2011, dass der gekreuzigte und auferstandene Herr und Heiland uns freispricht von all dem was in Gottes Augen keinen Bestand hat. Wir werden nachher Zeit haben, jeder für sich, sein Leben anzuschauen – hinzusehen auf das was uns schmerzt, auf das, was wir besser nicht getan hätten, auf das, was uns von Gott und von anderen Menschen trennt. Hinsehen auf das was Heilung und Vergebung braucht. In der Beichte und dem Heiligen Abendmahl, das wir anschließend feiern, bietet uns Gott die Vergebung unserer Schuld und einen Neuanfang an.

Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Keine Kommentare: