12.09.2007

Glaube wie ein Senfkorn

Heute bin ich mit der Predigt für den kommenden Sonntag 16.9. fertig geworden. Ich stelle sie hier hinein zum nachlesen.

Predigt Lukas 17, 5-6

Die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder in Christus,

„Ach wenn ich doch nur glauben könnte!“ Diesen Stoßseufzer hören wir immer wieder von Menschen, mit denen wir in Kontakt kommen. „Ach wenn ich doch nur glauben könnte!“ Viel anders klingt der Wunsch der Jünger an Jesus auch nicht: „Stärke in uns den Glauben!“ Wir, die wir versuchen aus dem Glauben heraus zu leben, wünschen uns oft nichts anderes sehnlicher als einen „starken“ Glauben zu haben. Einen Glauben, der uns in den Krisen des Lebens hindurchträgt. Einen Glauben, der nicht gleich beim ersten Luftzug ins Zweifeln gerät und in Gefahr kommt, wie ein kleines Pflänzchen, das gerade eben aus der Erde hervorspitzelt, ausgerissen zu werden. Wir wünschen uns einen Glauben, der in uns fest verankert und verwurzelt ist, aus dem uns Durchhaltevermögen, Kraft und Hilfe zuströmt, wenn alles mögliche an uns zerrt.

Glaube Hilfe zum Leben
„Ach wenn ich doch nur glauben könnte!“ Dieser Stoßseufzer wird nur von Menschen gesprochen, da bin ich mir sicher, in denen die Einsicht gereift ist, dass der Glaube eine Hilfe zum Leben ist, oder die Wehmut Raum greift über den Verlust ihres Glaubens. Nicht wenige wünschen sich auch mit diesem Stoßseufzer, dass Theologen die Bibel so auslegen möchten, damit auch sie das Gesagte glauben können.

Ja, es ist heute manchmal wirklich nicht leicht zu glauben. Gutgläubigkeit wird in unserer Gesellschaft in der Regel sofort und ohne Rücksicht bestraft. Ein gesundes Misstrauen kann da sehr hilfreich sein und vor Schaden bewahren.

Der christliche Glaube, wie groß oder klein er sein mag, sieht sich heutzutage immer wieder dem Spott von Nichtgläubigen ausgesetzt. Im östlichen Bereich Deutschlands hat sich bei den über 70 % Nichtchristen die Überzeugung festgesetzt: Glaube, Christentum, Kirche - das ist Voraufklärungszeit, ist dunkles Mittelalter, ist tendenziell Volksverdummung. Und so leben jene Nichtchristen und Atheisten in dem Bewusstsein, die Aufklärung zu repräsentieren. Sie sind gewiss, die Wissenschaft und damit die Zukunft auf ihrer Seite zu haben. Nicht ganz unähnlich denkt der eher sanft‑abschätzige Säkularismus im Westen Deutschlands. Militant abrechnende Zeitungsartikel wie der des Berliner Philosophen Herbert Schnädelbach „Der Fluch des Christentums“ (DIE ZEIT, Nr. 20, 2000) treffen allerdings im Westen wie im Osten eine verbreitete Stimmungslage. Wenn Schnädelbach von den sieben Geburtsfehlern des Christentums redet, greift er den christlichen Glauben in seinem innersten Zentrum an, z. B. die Lehre von der „menschenverachtenden“ Erbsünde oder den Glauben an „die Rechtfertigung als blutiger Rechtshandel“ oder den „Missionsbefehl“ als „Toleranzverbot“.

An was ich glaube
„Ach wenn ich doch nur glauben könnte!“ – Und dabei glauben wir doch unbesehen so viel. Wir halten Dinge für wahr, was wir gar nicht wissen. Das geht bei den Nachrichten im Rundfunk und Fernsehen los und endet bei den Zeitschriften und Zeitungen. Manchmal ahnen wir, dass wir nicht blind glauben sollen was da geschrieben wird. Aber Sie, liebe Gemeindeglieder, glauben doch auch, dass die Bank auf der sie jetzt hier im Gottesdienst sitzen nicht zusammenbrechen wird, oder heute Mittag der Stuhl, auf dem Sie sitzen werden, wenn sie ihr Mittagessen einnehmen. Mittagessen – gutes Stichwort – Sie glauben sicher, dass Sie kein Gammelfleisch gekauft haben, mit dem sie heute Mittag ein leckeres Mahl bereiten wollen. Und wenn sie in Ihr Auto einsteigen, dann glauben Sie, dass die Bremsen funktionieren, sonst würden Sie nicht losfahren. Unser Glaube ist viel mehr gefragt, als wir das oft annehmen. Carl Friedrich von Weizäcker schreibt zum Thema Glauben: „An etwas glauben, heißt, sich in jeder Lage so verhalten, wie man sich verhalten muss, wenn es das, woran man glaubt, wirklich gibt. ... Um es in einem Gleichnis auszudrücken: Der Fußballspieler muss den Ball ab- und zu einem andern Spieler seiner Mannschaft zuspielen. Das ist nur sinnvoll, wenn er damit rechnen kann, dass der Partner den Ball übernimmt und gegebenenfalls zurückspielt. Gewissheit hierfür gibt es nicht, denn der andere könnte durch den Gegner gehindert sein oder den Ball verfehlen. Trotzdem muss man ihm zuspielen. Dies mit dem Gegenüber trotz der Ungewissheit rechnende zuspielen und Zurückerwarten des Balls ist Glauben.“[1]

Glauben und Vertrauen
Glauben hat mit Vertrauen zu tun. Da ist so scheinbar viel Unbewiesenes, etwas das nicht mit Händen gegriffen und nicht gesehen werden kann, für das es vielleicht auch ganz andere Erklärungen geben könnte. Das Wort Zufall, könnte man vielleicht manchmal auch dafür einsetzen. Schon ein Säugling lernt das Vertrauen, das ihn im sogenannten Urvertrauen bestärkt. Ziel seines Vertrauens ist zunächst die meist Mutter, die ihn nicht verhungern lässt, die sich kümmert wenn es in der vollen Windel unangenehm wird oder wenn schmerzhaftes Bauchweh plagt. Der Säugling lernt, woran er dann später als Kind glauben wird: „Meine Eltern meinen es gut mit mir. – Bei meinen Eltern bin ich sicher und beschützt. – Meinen Eltern kann ich vertrauen.“ Als Erwachsener bleibt dann das Gottvertrauen: „Gott ist der, dem ich unbedingt vertrauen kann.“ Das wäre jenes unerschütterliche Glauben, das sich wie die Wurzeln eines starken Baumes an Gott eingekrallt hat: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“[2]

Der Glaube, der im Zweifel wohnt
Leider hat der Glaubende dieses Gottvertrauen nicht immer zur Verfügung. Dieses Glaubenkönnen, entgegen allem Anschein, fällt uns oft sehr schwer. Unsere Erfahrung sagt uns, dass das, was wir jetzt von Gott erwarten nicht sein kann, weil die Dinge des Lebens anders ablaufen und nicht so, wie wir das jetzt möchten und nötig hätten. Der Zweifel beginnt an uns zu nagen. Die Enttäuschung macht sich breit: „Ach wenn ich doch nur glauben könnte!“ Wir fühlen, dass wir bedürftig geworden sind, unser Glaube in der Krise ist. Unser Glaube, den wir als stark und fest eingeschätzt haben, wankt, braucht Hilfe. Und doch hilft mir der Zweifel, dass mein Glaube lebendig bleibt, weil er sich immer wieder mit dem auseinandersetzt, woran ich so gerne glauben möchte.

Glauben auf Vorrat geht nicht. Gerade im Zweifel muss er uns immer wieder neu zugesprochen werden, „Fürchte dich nicht, glaube nur!“[3]. Das hilft uns, das Zukünftige auf uns Zukommen zu lassen und uns voller Vertrauen und in Gelassenheit weiterhin in Gottes Liebe geborgen zu fühlen.

Anteil an der Macht Gottes
Glaube lässt uns Anteil haben an der Macht Gottes. Jesus schenkt uns die Vollmacht, in seinem Namen zu handeln. Wir kennen das aus der Praxis unserer Gottesdienste:
- Dir sind deine Sünden vergeben
- Nimm hin und iss, nimm hin und trink, Christi Leib, Christi Blut für dich vergossen
- Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes
- Wer unter euch krank ist, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie mit ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten, und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.[4]

Leider habe ich das in unserer St. Paulskirche das bisher nur einmal erlebt, dass wir ganz konkret für einen Kranken unter Nennung seines Namens gebetet haben. Trauen wir uns nicht? Oder fehlt uns dazu der Glaube?

Allmacht Gottes und Ohnmacht
Diese Anteilhabe im Glauben an der Allmacht Gottes, konfrontiert uns mit den Ohnmachtsaussagen Jesu. Der 2001 in Zürich verstorbene Theologe Gerhard Ebeling schreibt: „Wie ein Senfkorn selbstverständlich absolut ohnmächtig ist gegenüber einem Bergmassiv, so sind jene Menschen in den Heilungsgeschichten gleichfalls ohnmächtig gegenüber ganz massiven Realitäten der Krankheit, dem dauerhaften Gebrechen, dem Tod.

Und doch vollzieht sich Glaube in der Begegnung mit dem Menschen. Dort, in der Begegnung beweist er sich, dort, wird er uns zugesprochen, dort, erfahren wir Stärkung und dort, muss er sich bewähren. Unser Glaube ist gefordert, als ganz konkreter Glaube in einer ganz konkreten Situation: „Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen!“[5] Darum ist es möglich, in ganz konkreter Krankheits- oder anderer Not, auch ganz konkret zu bitten und entgegen allem Anschein Gottes Eingreifen zu erwarten.

Liebe Schwestern und Brüder, ich könnte Ihnen so manches erzählen, wo Gott Beter an seiner Macht Anteil haben ließ und den Glauben schenkte, der Veränderung, Heilung und Neuanfang ermöglicht hat. Das sind ganz wunderbare Dinge, wo konkreter Glaube in einer konkreten Situation Heil und Heilung gebracht hat – wo Heilsglaube sichtbar geworden ist.

Ist der Glaube der Schlüssel zu Rechthaberei, Fanatismus und Gewalt
Zum Schluss möchte ich noch eine Frage anschneiden, die in unserer Zeit viele von uns bewegt. Es ist die Frage, ob ein starker Glaube zu Rechthaberei, Fanatismus und Gewalt führt.
Der Glauben, der uns in der Gewalt entgegenschlägt, befremdet, erschreckt uns, mehr noch: er entsetzt uns, und unter uns ist niemand, da bin ich mir sicher, der diese Gewalt billigt und solchen glauben gutheißt. Aber gerade, wo wir so angefasst sind, sind wir auch angefragt: Was ist mit unserem Glauben? Das Christentum predigt doch Versöhnung, aber auch in der Geschichte gab es genauso die Aufforderung zu Kreuzzügen und Verfolgung Andersdenkender. Birgt Glauben die Tendenz zur gewalttätigen Rechthaberei in sich?

Manche sagen ganz unverblümt: Zu viel Glauben schadet, besser kein Glauben. Der Glauben steht im Verdacht, Zwiespalt unter die Menschen zu bringen. In einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" im September 2001 schrieb der portugiesische Literatur-Nobelpreisträger José Sarmago, "ausnahmslos alle Religionen" hätten nie dazu gedient, die "Menschen einander näher zu bringen und den Frieden zu mehren". Vielmehr seien Religionen der "Grund für unendliches Leid, für Massenmorde und ungeheuerliche pysische und psychische Gewalt, die zu den dunkelsten Kapiteln der elenden Geschichte der Menschheit" gehören. Muss glauben zwangsläufig so sein, wie Sarmago es beschreibt?[6]

Die Antwort konnte man in der „Neue Züricher Zeitung“ vom 5. Juli 2006 lesen:
Wenn Religionen gut sind, sind sie es nicht nur für den Gläubigen, sondern ebenso für die Menschen, die mit ihnen zu tun haben. Man muss nicht fromm sein, um gut zu sein, aber umgekehrt gehört zur Frömmigkeit, wie ich sie kennen gelernt habe und definiere, die Güte zwingend dazu. Hartherzigkeit ist niemals gottgefällig. ...[7]

Der Theologe Helmut Gollwitzer hat über diesen Text zu Pfingsten 1940 eine Predigt gehalten. Darin spricht er deutlich aus, was für ihn Glaube ist: Der Senfkornglaube beginnt mit einem inneren Bankrott, mit dem Eingeständnis: „Ausgeschlossen, dass ich es schaffe“, dem Bankrott des Selbstvertrauens und mit der Flucht hin zu Jesus Christus. Der Senfkornglaube sagt Jesus ist nichts anderes, als dass du aussprichst: „Ich glaube nicht an mich, sondern an den Heiligen Geist!“

Zum Schluss
Der Glaube lehrt uns Gott zu vertrauen in allen Dingen. Durch Gottes Heiligen Geist können wir das Geschenk des Glaubens annehmen und auch die Gewissheit, dass Gott es in allen Dingen gut mit uns meint, weil er die Liebe ist. Das mag zwar manchmal ganz anders aussehen, so dass wir voller Verzweiflung dem Zweifel Raum geben. Aber vielleicht kann uns der Glaube dazu verhelfen, dass wir uns trotzdem zum „Dennoch“ durchringen können wie der Beter des 73. Psalms: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“[8] Wem solcher Glaube geschenkt ist, der ist in allen Dingen in Gott, seinem Herrn, geborgen. Amen.
[1] Carl Friedrich von Weizsäcker, Zeit und Wissen. C 1992, Carl Hanser Verlag, München
[2] 1.Mose 32,27
[3] Mk 5,36
[4] Jakobus 5, 14-15
[5] Mk 10,52
[6] GottesdienstPraxis V. Band 4 Seite21/22 - Gütersloher Verlagshaus
[7] (Navid Kermani: Es ist wichtiger, ein guter Mensch zu sein als ein guter Muslim. Eine Erörterung der Frage: Was ist eine gute Religion? Neue Zürcher Zeitung, 5. Juli 2006)
[8] Psalm 73, 23-26

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