17.12.2007

Freut euch! Der Herr ist nahe!

Liebe Gemeindeglieder,
liebe Kinder,

so ist das mit dem, was wir uns vornehmen. Es geht uns wie den drei Adventslichtern. Wir nehmen uns das vor, Frieden und Versöhnung, beim ersten kleinen Luftzug ist unser Vorsatz wie weggeblasen. Wir nehmen uns vor, in Zukunft Gott mehr zu vertrauen. Bei der erstbesten Schwierigkeit sind wir total verzagt und unser Vertrauen zu Gott ist dahin. Wir nehmen uns vor, Weihnachten nicht so oberflächlich zu erleben, besinnlicher zu sein, mehr auf Gott zu hören – wir wollen schauen, wo Gott uns begegnet, das haben wir uns wenigstens am 1. Advent vorgenommen - kaum sind wir im Alltag, dann sind unsere Vorsätze vergessen. Was uns bleibt ist die Hoffnung, dass es uns vielleicht doch irgendwann einmal gelingen wird.


Ich habe versprochen, euch heute wieder eine Geschichte mitzubringen. In dieser Geschichte geht es auch um Hoffnung. Die Schüler von Lehrer Eggimann führen ein Weihnachtsspiel auf und hoffen natürlich, dass alles in diesem Jahr ganz besonders gut klappt. So wie das unsere Hortkinder auch hoffen, die morgen ihr Weihnachtsspiel, hier in der Kirche, aufführen. Aber bei dem Weihnachspiel der Klasse von Herrn Eggimann da ... na hört selber, was da passiert ist.


In einer kleinen Schulgemeinde durften die Kinder die Weihnachtsgeschichte aufführen. Der Wirt des Gasthauses »Zum Löwen« stellte großzügig seinen Saal zur Verfügung. Die rund dreißig Schüler hatten ‑ von der ersten bis zur vierten Klasse alle zusammen denselben Lehrer und teilten dasselbe Zimmer. Das gibt es eben auch heute noch. Der Lehrer, Gottlieb Eggimann, wäre eigentlich schon lange pensioniert, aber mangels eines jüngeren Bewerbers ließ man ihn weiter im Amt. Ja, man liebte das Traditionelle in dieser kleinen Gemeinde; und zur Tradition gehörte auch die alljährliche Weihnachtsaufführung der Schüler.


Die tragenden Szenen ‑ seit Jahren dieselbe Geschichte: Maria und Josef auf der Suche nach einer Unterkunft für eine Nacht. Bei der Rollenverteilung rissen sich die größeren Jungen um die Hauptrolle, jeder wollte den Josef spielen. Aber auch die Mädchen drängten sich vor für die Rolle der Maria. Diplomatisch, so gut es eben ging, verteilte »Eggi«, wie der Lehrer im ganzen Dorf genannt wurde, die Rollen. Er führte selbstverständlich auch Regie. Nur bei einer Besetzung gab es Probleme, niemand wollte den bösen Gastwirt spielen, der dem jungen Paar so schroff den Eintritt in sein Gasthaus verwehrte und sie unbarmherzig wegjagte. So musste schließlich Roberto, der Sohn eines italienischen Gastarbeiterehepaares, welches im Restaurant »Zum Löwen« seit Jahren in der Küche arbeitete, die Rolle übernehmen. Er musste. Erstens, weil er noch nicht so gut deutsch sprach, und zweitens schien er mit seinem dunklen, gekrausten Haar und den dunklen Augen am ehesten einem Bösewicht zu gleichen. Das war auf alle Fälle die Meinung der halben Klasse.


Der kleine Roberto lernte seine Rolle schnell und gut. Lautstark schmetterte er an den Proben sein »Nein, von mir bekommt ihr kein Zimmer! Gesindel, verschwindet!« von der Bühne. Aber: Wie hasste der Kleine doch seine Rolle. Im Innersten würde er den beiden armen Geschöpfen Maria und Josef doch liebend gerne ein Zimmer geben und wenn es sein müsste - sogar sein eigenes. Doch, das hatte ihm der Lehrer eingefleischt: böse und mit grimmiger Miene sind die beiden wegzujagen. Ja, so ein kleiner Schauspieler hat es wirklich nicht leicht. Robertos Vater tröstete ihn und versprach, bei der Weihnachtsaufführung dabei zu sein. Und das bedeutete viel, denn er zeigte sich sonst kaum im Dorf.


Endlich war es so weit, der große Tag stand vor der Tür. Der kleine Saal war zum Bersten voll, viele mussten sogar stehen; einige zusätzliche Stühle holte man eiligst vom Restaurant »Bären« gegenüber. Mit leuchtenden Augen standen die Kinder in ihren selbst gemachten Kostümen da. Vor allem Maria strahlte; mit ihren Zapfenlocken war sie wunderschön anzusehen, denn die Mutter hatte sie am Nachmittag noch zum Friseur geschickt. Und wie sie spielten! Der Lehrer Eggimann wurde immer größer und stolzer; denn was seine Kinder auf der Bühne boten, war schlicht erstaunlich. Seit bald zwanzig Jahren hatte er nie mehr eine so hinreißende Aufführung miterlebt. Der Lehrer - und ein paar Dorfeinwohner mit ihm - bekam feuchte Augen.


Nun folgte der zweite Akt beim Gastwirt, bei Roberto. Und wie die Maria in ihren Zapfenlocken um ein Zimmer bat - es war zum Steinerweichen. Aber jeder wusste, was nun kommen musste; man hat es bei den Proben Dutzende Male gehört: »Nein, von mir bekommt ihr kein Zimmer! Gesindel! Verschwindet!« Roberto stand da mit grimmigem Blick und hörte das Klagen der Maria. »Ach, Wirt, habe Erbarmen, ich friere! Lass mich in dein Haus!« Roberto schaute immer grimmiger drein und setzte an, um seinen hundertmal geübten Satz in den Saal zu schmettern. Oh, wie er seine Rolle hasste; vor dem ganzen Dorf musste er Maria und Josef in die dunkle Nacht zurückschicken, ausgerechnet er. Doch plötzlich verschwand der dunkle Schatten von seinem Gesicht, ja, es begann förmlich zu leuchten. Und Roberto sagte mit fester Stimme: »Kommt nur herein, ich gebe euch mein bestes Zimmer!« Und bevor der Lehrer vor Schreck beinahe vom Stuhl fiel, fuhr der kleine Roberto fort: »Und zu essen bekommt ihr auch, so viel ihr wollt!« Und er griff Maria sanft bei der Schulter und wollte sie durch die Kulissentür in sein Gasthaus führen.


»Spinnst du?«, flüsterte die Maria deutlich hörbar dem Jungen zu, während Josef ein noch etwas unanständigeres Wort brauchte. Peinliche Sekunden vergingen, ehe der Lehrer endlich »Vorhang, Vorhang!« schrie. Der Vorhang wurde gezogen - die Weihnachtsaufführung war vorzeitig beendet.


»Der kleine Roberto hat es tatsächlich fertig gebracht, meine Aufführung platzen zu lassen«, wetterte der Lehrer später in der Gaststube. Roberto saß inzwischen mit verweinten Augen zu Hause und versuchte seinen Eltern das Malheur zu erklären. »Papa, ich konnte doch die beiden nicht einfach wegschicken, sie haben doch so gebettelt und waren so verzweifelt und schließlich ist doch Weihnachten!«


»Roberto, du magst ein schlechter Schauspieler sein, aber du bist ein wunderbarer Sohn!«, sagte der Vater leise und strich ihm sanft über das dunkle, gekrauste Haar ...[1]


„Du bist ein wunderbarer Sohn“, das hat sein Vater zu ihm gesagt. Ich glaube das hat den Roberto getröstet. Er war ein ganz feiner Junge, der auf sein Herz gehört hat – sogar in einem Theaterstück, wo er nur eine bestimmte Rolle zu spielen hatte. Ihm war in der Maria Gott begegnet. Er konnte sie nicht einfach wegschicken.


Ich bin sicher, dass uns in den vergangenen Wochen auch irgendwo Gott begegnet ist. Vielleicht in der Weise, dass wir bewahrt und beschützt geblieben sind – dass uns jemand weitergeholfen hat, wo wir nicht mehr weiterwussten – dass wir für jemanden ein tröstendes Wort hatten ...


Morgen feiern wir Weihnachten – endlich. Ich wünsche uns, dass wir so feiern, wie wir den Geburtstag eines lieben Menschen feiern, der an seinem besonderen Tag auch im Mittelpunkt stehen darf. Lasst uns das nicht nur vornehmen, sondern auch tun, damit uns nicht wieder nur die Hoffnung bleibt, dass es uns irgendwann schon mal gelingen wird.


Freut euch im Herrn allezeit und abermals sage ich: Freut euch! Der Herr ist nahe!“ Das ist der Wochenspruch für den 4. Advent. Wir werden aufgefordert uns zu freuen. Nicht über die Geschenke und die Weihnachtsgans. Wir sollen uns freuen, weil der Herr nahe ist. Damit ist nicht nur das Fest gemeint, das jetzt so nahe ist und bei dem wir seine Geburt im Stall von Betlehem feiern.

Jesus ist uns alle Tage nahe, in seinem Wort und mit seinem guten heiligen Geist. Wir sollten nicht vergessen: Jesus ist der Kommende. Wir warten auf sein Wiederkommen. Niemand weiß wann es sein wird. Aber er wird kommen, ganz überraschend – und dann wollen wir bereit sein. „Freut euch im Herrn allezeit und abermals sage ich: Freut euch! Der Herr ist nahe!“ Amen.



[1] Das Wunder dieser Nacht – Herder-Verlag Seite 65 - Roberto spinnt von Bruno Schlatter

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