09. Januar 2021
Die US-Sicherheitsbehörde FBI fahndet nach den Gewalttätern
vom Kapitol. Auch politisch läuft die Aufarbeitung:
Ein Impeachment gegen Trump wird
immer wahrscheinlicher
Ein Zaun, zwei Zäune,
und dann noch einer. Wer sich in diesen Tagen dem US-Kongress nähert, muss
durch viele Absperrungen gehen. Hunderte Soldaten der Nationalgarde haben sich
über das weitläufige Gelände auf dem Capitol Hill verteilt, bewaffnet und in
Camouflage.
Im Inneren des Gebäudes sind die meisten Schäden der
Krawalle beseitigt. So ist die Rotunde, der lichtdurchflutete Saal unter der
Kuppel des Kapitols, nach Verwüstungen wieder geöffnet. Doch in vielen Gängen
sieht man Spuren vom Sturm der Trump-Anhänger. Fenster sind zersplittert, Türen
abgeklebt, an allen Eingängen sind Polizisten.
Warum derartige Sicherheitsvorkehrungen nicht schon am
Mittwoch getroffen wurden, diese Frage wird in Washington heiß diskutiert. Denn
vielen Menschen scheint es noch immer unbegreiflich, dass der US-Kongress nicht
besser geschützt wurde.
„Ich gehe seit 20 Jahren regelmäßig demonstrieren“, sagt
Joan Stallard, eine Bewohnerin Washingtons. „Wenn ich mit meinen Mitstreitern
ins Kapitol ging, komplett friedlich, mussten wir sogar unsere Stöcke von den
Plakaten abmachen.“
Tausende Trump-Anhänger hatten Fenster und Türen
aufgebrochen, skandierten „Wir übernehmen jetzt!“ und bedrohten Abgeordnete,
Senatoren und Mitarbeiter. Erst nach sechs Stunden Chaos hatten Einsatzkräfte
das Kapitol geräumt.
„Ärger, Hass, Groll im Herzen“
Ein anderer Anwohner, Elba Arrocha, kann es ebenfalls nicht
fassen. „Jeder wusste, dass diese Schläger Ärger, Hass, Groll und alles andere
Schlechte in ihren Herzen mitbringen würden.“ Für die Afroamerikanerin Robyn
Baggetta ist der Grund für die Eskalation eindeutig: „Warum es so wenige
Verhaftungen gab, warum so wenig getan wurde? Die Terroristen waren weiß, und
Rassismus ist in diesem Land sehr lebendig.“
Drei Tage sind vergangen, seit die schockierenden
Szenen aus dem Machtzentrum der USA um die Welt gingen. Die Behörden
widmen sich der Aufarbeitung: Die US-Sicherheitsbehörde FBI (Federal Bureau of
Investigation) fahndet mit Hilfe der vielen Aufnahmen im Netz nach Einzeltätern
des Mobs, mehr als 50 Menschen wurden verhaftet. Vor dem Bundesgericht in
Washington sind 13 Personen angeklagt, „und sie sind erst der Anfang“,
verspricht man.
Fünf Menschen kamen bei den Ausschreitungen ums Leben, in
einem Todesfall hat das Justizministerium Ermittlungen wegen mutmaßlichen
Mordes eingeleitet. Ein Polizeibeamter war an seinen Verletzungen gestorben,
die ihm einer der Gewalttäter mit einem Feuerlöscher zugefügt hatte.
Viele Details und Umstände sind ungeklärt, doch zunehmend
verfestigt sich der Eindruck eines Desasters mit Ansage. So berichteten
US-Medien, die hauseigene Polizei des Kongresses habe kaum mit der Polizei der
Hauptstadt DC kommuniziert, und umgekehrt. Dadurch ging wertvolle Zeit
verloren, um auf die angemeldete Trump-Demo zu reagieren.
Pentagon verzögerte Einsatz der Nationalgarde
Auch der späte Einsatz der Nationalgarde wirft Fragen auf.
Der Gouverneur des benachbarten Bundesstaates Maryland, Larry Hogan, gab am
Freitag erschütternde Einblicke. So habe er sofort 200 Nationalgardisten zum
Kapitol schicken wollen, als er von den Krawallen erfuhr. Doch ihm seien die
Hände gebunden gewesen. Denn das Pentagon, das die Entsendung der Soldaten
final bestätigen muss, habe ihn hingehalten. „Wir waren bereit und in der Lage,
zu helfen. Aber uns wurde wieder und wieder die Genehmigung verweigert“, so
Hogan.
Parallel bekam Hogan einen Anruf von einem aufgelösten Steny
Hoyer, dem Republikaner-Chef im Repräsentantenhaus. Hoyer rief Hogan aus einem
Bunker unter dem Kapitol an, in den die Kongressführung evakuiert worden war.
„Er sagte, dass die Polizei des Kapitols überfordert ist und dass sie Unterstützung
brauchen“, erzählte Hogan sichtlich bewegt. Doch erst 90 Minuten später kam die
erlösende Nachricht aus dem Pentagon: Die Nationalgarde könne starten.
Im Kongress läuft derweil die politische Aufarbeitung,
denn ein Impeachment-Verfahren wird immer wahrscheinlicher. Demokraten-Chefin
Pelosi stellte am Freitag Trumps geistige Fähigkeit in Frage, sein Amt
auszuüben.
Der Präsident hatte seine Anhänger aus Protest gegen das
Wahlergebnis dazu aufgerufen, zum Kapitol zu ziehen. „Wir müssen verhindern, dass
ein unfähiger Präsident die Kontrolle über Atomwaffen hat“, so Pelosi. Die
Demokraten fordern, dass Trump „unmittelbar und freiwillig“ zurücktritt –
andernfalls wolle man bereits am Montag ein neues Impeachment in die Wege
leiten.
Impeachment im Schnelldurchlauf?
Doch kann Trump überhaupt des Amtes enthoben werden, knapp
zwei Wochen vor dem Regierungswechsel? Zumindest im Repräsentantenhaus, in dem
die Demokraten dominieren, zeichnet sich eine Mehrheit dafür ab.
Der Entwurf kursiert bereits, er besteht aus einem
Anklagepunkt: „Aufstachelung zum Aufstand“. Weil sich der Kongress erst vor ein
paar Tagen konstituierte, existieren noch keine Ausschüsse, die mit einbezogen
werden müssten. Dadurch könnte man ein Impeachment quasi im Schnellverfahren
auf den Weg bringen.
Auch die Verfassung erlaubt es, einen Präsidenten kurz vor
Ende seiner Amtszeit zu „impeachen“. Rechtlich wäre das sogar nach Trumps
Auszug aus dem Weißen Haus möglich. Der Zeitplan sei eng, aber nicht unmöglich,
heißt es auf dem Capitol Hill. Sobald das Repräsentantenhaus ein Impeachment
beschlossen habe, könne die Kammer die Anklage zur Prüfung an den US-Senat
weiterleiten.
Genau dort, im Senat, waren die Demokraten erst vor rund
einem Jahr gescheitert. Sie hatten ein Impeachment im Zuge der Ukraine-Affäre
eingeleitet, doch es stimmten genügend Republikaner gegen eine Amtsenthebung.
Inzwischen haben sich die Machtverhältnisse geändert. Aber
um Trump zu entfernen, bräuchten die Demokraten 17 Republikaner auf ihrer Seite
– was trotz der Empörung vieler Senatoren eine große Hürde ist.
Umdenken der Republikaner?
Die Demokraten scheinen dennoch ernst machen zu wollen. Ein
Impeachment wäre ein starkes Symbol, auch ohne finale Amtsenthebung, so das
Kalkül. Schließlich wäre Trump der erste Präsident, der zweimal damit
konfrontiert würde.
Außerdem bauen manche Demokraten auf ein Umdenken der
Republikaner: Denn sollte Trump im Senat verurteilt werden, könnte ihn eine
Zusatzklausel daran hindern, jemals wieder für das Präsidentenamt anzutreten.
Das wäre für so manchen Republikaner, der bei den Wahlen
2024 kandidieren will, eine reizvolle Perspektive. Trump hat mehrfach
öffentlich mit der Idee gespielt, es 2024 noch einmal versuchen zu
wollen.
Unabhängig von einem möglichen Impeachment dürften die
Folgen der Ausschreitungen Washington noch lange beschäftigen. Der Chef der
Kongress-Polizei hat seinen Rücktritt angekündigt, doch damit ist es nicht
getan. „Der Angriff hat enorme traumatisierende Auswirkungen auf Mitglieder und
Mitarbeiter“, sagte Pelosi. Der Kongress-Arzt werde zeitnah die psychologische
Betreuung ausweiten.
Außerdem entblößte der Aufstand, dass vertrauliche
Informationen schnell in falsche Hände geraten können – ohne einen
Cyberangriff. Denn die Randalierer stürmten mehrere Büros und nahmen Akten,
Computer, Telefone mit. Das Justizministerium spricht von einer „potenziellen
Sicherheitslücke“.
Auch die Inauguration von Joe Biden am 20. Januar wird unter
eher bedrückenden Bedingungen stattfinden, nicht nur wegen der Pandemie. Die
Nationalgarde will bis Ende des Monats die Stadt absichern.