14.10.2007

Hausbesuch: Notfallseelsorge

Mit TimeSystem und Computer
Andreas Stahl sorgt für die Erreichbarkeit kirchlicher Seelsorge

Inzwischen kann man in der Presse in den Polizeiberichten immer wieder lesen, dass nach einem Unfall, Brand oder anderen Unglücksfällen, Notfallseelsorger vor Ort waren, die sich um Angehörige oder Betroffene gekümmert haben. Notfallseelsorge wird zum Begriff, sie etabliert sich immer mehr im Angebot der Hilfsdienste.

Als ich die zwei Stockwerke zur Wohnung von Bruder Andreas Stahl, in der Pirckheimer Straße in Nürnberg, hinaufstieg, erwartete ich einen mit allen Wassern gewaschenen Seelsorger, der mit plötzlichem Leid und Tod umgehen kann. Meine Vorstellungen orientierten sich an der eigenen Notfallseelsorgepraxis: Nachts unterwegs sein, Straßen und Hausnummern suchen, mit geschockten Menschen sprechen, einfach da sein. Zu Unfällen gerufen werden, wo einen das Grauen zu packen beginnt und die eigene Hilflosigkeit zu übermannen droht. Bei Eltern ausharren, deren toter Säugling auf dem Tisch liegt. Die vielen ausgesprochenen und unausgesprochenen Fragen aushalten, die Fragen nach dem Warum und Wozu. Die eigene Wut darüber, warum Gott so etwas zulässt. - Mit diesen Gedanken stieg ich die Treppen hinauf und war irgendwie erstaunt, als mich oben ein freundlich-fröhlicher junger Mann begrüßte, dem der tägliche Umgang mit schwersten Leid nicht auf dem ersten Blick abzuspüren ist.

Er führte mich in sein Büro, das in seiner Wohnung untergebracht ist. Schreibtisch, Bücherregal, Telefon, PC, Drucker und TimeSystem waren als Arbeitsmittel vorhanden. Am meisten verwunderte mich das TimeSystem, das ja eher als ein Hilfsmittel für Manager Verwendung findet. Aber das beantwortete sich später von selbst.

Erfahrungen als Rettungssanitäter

Seit Juni diesen Jahres hat Bruder Stahl eine landeskirchliche Projektstelle für Notfallseelsorge inne. Inhaltlich geht es darum, Fortbildung für Notfallseelsorger im Kirchenkreis Nürnberg zu organisieren und die Möglichkeiten zu klären, für Seelsorge am Nürnberger Flughafen. Diese Stelle war als Pfarrstelle gedacht, aber sie ging an Andreas Stahl. Und das kam nicht von ungefähr, denn er ist in der Notfallseelsorge im Nürnberger Raum seit Jahren kein unbeschriebenes Blatt mehr. Neben der 0,5 Stelle Jugendarbeit im Maxfeld, war er seit 2002 bereits mit einer halben Stelle im Evang.-Luth. Dekanatsbezirk Nürnberg als Beauftragter für Notfallseelsorge angestellt. „Mir kam dabei sehr meine Erfahrung als Rettungssanitäter zugute“, meinte Andreas Stahl, „denn ich lernte dort professionell mit schwersten Krisensituationen umzugehen.“ Schon vor seiner Rummelsberger Zeit, als er noch bei der Bundesbahn als Elektriker arbeitete und nebenbei Jugendarbeit in Weiden machte, fuhr er als Rettungssanitäter in seiner Heimatstadt. „Seit 1991 fahre ich immer noch einmal im Monat am Freitag in Weiden Nachtschicht als Rettungssanitäter. Das hilft mir fit zu bleiben und in meinem Hauptberuf eine andere Sicht der Dinge zu behalten“, lächelnd fügt er hinzu „und im Übrigen kann ich da auch gleich mein Patenkind besuchen.“

Als in Röthenbach/Pegnitz vom Roten Kreuz 1998 die Anfrage nach Notfallseelsorgern kam, war er bereit dort mitzumachen, allerdings nur unter der Bedingung, dass er die 5-tägige Weiterbildung machen dürfe. Er sieht für diese den ganzen Menschen fordernde Arbeit, solch eine Weiterbildung als unerlässliche Voraussetzung an. So kam er zur Notfallseelsorge.

Erreichbarkeit kirchlicher Seelsorge sicherstellen

In seinem jetzigen Dienstauftrag sieht sich Andreas Stahl in erster Linie nicht als der Notfallseelsorger, der von Unfallstelle zu Unfallstelle eilt oder zusammen mit der Polizei Todesnachrichten überbringt. Er sieht sich eher als Koordinator der ökumenischen Notfallseelsorge. „Notfallseelsorge ist Erreichbarkeit kirchlicher Seelsorge“, so beschreibt er, wie sich ihm dieser wichtige kirchliche Dienst darstellt, „und ich sehe es als meine Aufgabe an, diese Erreichbarkeit sicherzustellen. Ich sehe mich mehr als Manager, weniger als Seelsorger.“ In jedem der fünf Nürnberger Prodekanate gibt es einen Seelsorger mit Handy, der für einen Einsatz erreichbar ist. Zudem gibt es mehrere weitergebildete Notfallseelsorger (u. a. auch Diakone). Stahl: „Als Ziel der Notfallseelsorge sehe ich, den Gemeindepfarrer, der ja der Seelsorger der betroffenen Familie ist, zu verständigen – Kontakt herzustellen. Als unser Bruder Drews tödlich verunglückt ist, hab ich Kontakt mit der die Gemeindepfarrerin aufgenommen und bin nicht selbst gefahren. Die Gemeindepfarrerin ist die, die für die weitere Betreuung der Familie, bis hin zur Beerdigung, zuständig ist. Wie gesagt, Kontakte herzustellen, das sehe ich in erster Linie als die Aufgabe der Notfallseelsorge und damit auch als meine Aufgabe. Natürlich bin ich im Hintergrund immer erreichbar, wenn einmal alle Stricke reißen.“

Kontaktpflege und Vernetzung

Kontaktpflege sieht Bruder Stahl als eine seiner wichtigsten Aufgaben an. Kontakte zu Beratungsstellen, Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienste und sonstigen Hilfsorganisationen. So war er auch bei den Besprechungen zu den Veranstaltungen anlässlich der WM im letzten Jahr dabei. „Da wurden Einsatzpläne gemacht, wie mit einem ‚Großschadenereignis’ umgegangen werden soll. Da mussten Einsatzpläne auch für die Notfallseelsorge ausgearbeitet werden.“ Ich spüre, das Organisieren gefällt Andreas Stahl, hier liegt seine ganz besondere Begabung. Darum ist es für ihn keine Last, für entsprechende Vernetzungen mit Bahnhofsmission, Heilsarmee, Diakonie, Caritas und den anderen Hilfsdiensten zu sorgen. Er hat ein dickes Handbuch für die Notfallseelsorger vor Ort herausgegeben, das er immer wieder aktualisiert und auf dem Laufenden hält. „Mit diesem Handbuch könnte jemand, der in München ist, hier in Nürnberg Notfallseelsorge organisieren“, bemerkt er nicht ohne Stolz.

Fähigkeit Leid und Trauer auszuhalten

Bei aller Koordinations- und Organisationsarbeit bleibt er trotzdem in der seelsorgerlichen Praxis am Ball. Etwa 50 Einsätze fuhr er im letzten Jahr selbst. Da ist dann seine ganze Erfahrung gefragt, die er mit Menschen in Krisensituationen hat. Er weiß, dass er Zeit mitbringen und seine Bereitschaft zuzuhören vorhanden sein muss, auch die Fähigkeit Leid und Trauer auszuhalten. Ich frage ihn, ob er das dann mit nach Hause mitnimmt, was ihm bei einem Einsatz begegnet ist? „Nein, wenn der Einsatz abgeschlossen ist, ist das für mich abgeschlossen und ich vergesse, was ich gerade erlebt habe. Ich habe mir das in den vielen Jahren im Rettungsdienst antrainiert.“

Inzwischen ist auch Marion, seine Frau, nach Hause gekommen, die als Jugenddiakonin in Schniegling arbeitet. Sie bestätigt das: „Andreas hat das abgeschlossen, wenn er nach Hause kommt, er ist nicht aufgewühlt oder hängt schweigend rum.“ Dabei kann er u. U. auch sehr delikate Aufträge zu erledigen haben, die viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen erfordern. Er erinnert sich an die Überbringung einer Todesnachricht, die er der Ehefrau eines Mannes überbringen musste, der bei einer Prostituierten verstorben war. „Die Polizisten wollten da drum herum reden. Ich aber sagte der Frau in aller Offenheit, was vorgefallen war. Sie wollte alle Einzelheiten wissen. Darauf brach die Frau in helle Tränen aus. Durch die klaren Informationen fühlte sie sich ernst genommen und war so nach einer kurzen Schockphase wieder halbwegs handlungsfähig.“

Keinen Schaden erleiden

Bruder Stahl legt größten Wert darauf, dass Seelsorger mit Krisensituation professionell umgehen, damit auch sie keinen Schaden erleiden. Darum nehmen Schulungen einen Großteil seiner Zeit ein. „Seelsorger müssen wissen, wie sie sich in ungewöhnlichen Situationen verhalten und selbst damit umgehen können.“ Weiter meint Bruder Stahl: „Notfallseelsorge ist eigentlich nichts anderes als das, was Pfarrern und Gemeindediakonen in den Gemeinden begegnet.“ Im Aufgabenbereich von Andreas Stahl wird aber deutlich, wie wichtig Vernetzung und Koordination professioneller Hilfe in den Krisensituationen des Lebens sein kann und darin sieht er seine eigentliche Aufgabe.

Keine Kommentare: