Meine Predigt für den kommenden Sonntag Markus 2, 23-28
Rabbi Ovadia Josef, der geistige Mentor der einflussreichen Schas-Partei in Israel, hat in einem neuen Erlass das Nasebohren am heiligen jüdischen Sabbat verboten. Josefs Entscheid war in einer Predigt von ihm enthalten, die Samstagabend in Israel und der jüdischen Welt über Satellit verbreitet wurde, berichtete am Sonntag die Zeitung Yediot Aharonot. Laut Josef verletzt das Nasebohren strenge Sabbat-Gesetze, weil dabei versehentlich dünne Haare aus den Nasenlöchern herausgerissen werden könnten. Dadurch würde gegen das Sabbat-Verbot verstoßen, sich in irgendeiner Weise die Haare zu schneiden. Die religiöse Schas-Partei hält im israelischen Parlament zehn Sitze.[1]
Deutsche Tugenden
Fast sind wir gewillt, uns über den Nasebohren-Erlass des Rabbi Ovadia Josef lustig zu machen und ihn mit einer abwertenden Bemerkung abzutun. Aber sind wir denn viel besser mit unseren Gesetzlichkeiten, die es überall unter uns gibt? Ich denke da zum Beispiel an die Deutschen Tugenden: Ordnungssinn, Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein, Treue, Redlichkeit, Bescheidenheit, Gottesfurcht. Wir sehen solche Tugenden, oder sollte ich sagen, solche deutsche Gesetzlichkeiten als Garant unseres Erfolgs an: Disziplin, Gehorsam, Pflichterfüllung. Das geht weit in die Vorstandsetagen unserer großen Unternehmen hinein. So fordert der Vorstandschef der Deutschen Telekom Kai-Uwe Ricke mit klaren und deutlichen Worten, sich auf die deutschen Werte zu besinnen: Mut, Entschlossenheit, Wahrheit, harte Arbeit. Deutsche Tugenden, deutsche Werte, deutsche Erfolgsgesetze in Variationen.
Das tut man nicht
Dabei habe ich noch gar nicht über die „Gesetze“ gesprochen, die wir uns in unseren Familien, in unseren christlichen Gemeinden und im Zusammenleben gegeben haben. „Das tut man nicht“, wer kennt nicht diesen Ausspruch? Ein paar dieser „das tut man nicht“-Gesetze fallen mir auf Anhieb ein: Wer Christ sein will, der geht Sonntag zum Gottesdienst – Ein Christ lässt sich nicht scheiden – Ein Christ hat vor der Ehe keinen Sex und meidet die Selbstbefriedigung – Ein Christ hat keinen Streit und sagt immer die Wahrheit – Ein Christ ist zuverlässig und pünktlich, er ist immer sanft und liebevoll. Vielleicht würden wir gerne auch festlegen, welche Gedanken am besten nicht gedacht werden.
Im Erfinden von gesetzlichen Bestimmungen und Forderungen sind wir Menschen wirklich gut. Warum tun wir das? Warum versuchen wir den anderen und oft genug auch uns einzuschränken, auf „Linie“ zu bringen? Ich stelle die Behauptung auf: Je autoritärer und menschenverachtender ein System ist, je mehr es von Angst und überbeschützender Sorge bestimmt ist, um so mehr greift es in die Freiheit der Menschen ein. Dabei kann es sehr kleinlich zugehen. Das können wir erleben, wenn eine christliche Gemeinde bestimmte Fragestellungen nicht mehr zulassen will, wenn in Familien bestimmte Themen tabu sind und über sie nicht gesprochen werden darf. Wir können das sehen, wenn vor lauter „Fürsorge“ ein ganz enger Rahmen festlegt wird, in dem Glaube gelebt werden darf. Was darüber hinausgeht, wird mit dem Urteil abgetan: „Ein Christ kann so etwas nicht glauben!“ Und so hört dann ein Christ bestimmte Musik nicht, Zigaretten und Alkohol sind verboten nach dem Motto: „Ein Christ raucht und trinkt nicht“. Am Ende wird bestimmt welche Theologie die Richtige ist, es wird darauf geachtet, ob der Pfarrer „gläubig“ ist und man beginnt jeden Menschen unter dem Gesichtspunkt anzusehen, ob er wohl ein „gläubiger Christ“ ist. Sich gegenseitig den christlichen Glauben abzusprechen, ist dann der Höhepunkt solcher gegenseitiger Verurteilungen.
Skandal mit den Jüngern
Jesus war mit seinen Jüngern am Sabbat unterwegs. Dabei kam es zum Skandal. Aber hören wir selbst, was vorgefallen war. Der Predigttext steht bei Markus im 2. Kapitel:
Es begab sich, daß Jesus am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.[2]
Die Jünger gehen durch das Feld und streifen beim Hindurchgehen die Körner ab, zerreiben sie und essen sie. Sie waren hungrig. Es war nicht die Lust am mutwilligen Übertreten einer unnötigen Regel. Nach dem Alten Testament muss die Ernte am Sabbat ruhen. Natürlich müssen Gottes Gebote gehalten werden. Aber sie brechen das Gesetz, weil ihnen der Magen knurrt. Sie wissen, dass sie ein wichtiges Gebot übertreten. Nur im Notfall darf ein Gesetz übertreten werden.
Kleinkariert, denke ich. Kleinkariert, diese Pharisäer. So ein Aufstand wegen ein paar ausgeraufter Ähren. Das ist doch nicht der Rede wert. Gesetzlichkeit hat immer das Gewand des kleinkarierten an.
Das muss jeder doch selbst wissen ...
Wir haben da in unserer säkularisierten Welt schon ganz andere Probleme. Bei uns steht immer öfter und immer massiver der Sonntag als Ruhetag für alle zur Disposition. Firmen möchten den Sonntag als Ruhetag abschaffen, weil die teuren Maschinen auch am Sonntag laufen sollen, und damit besser ausgelastet werden können. Kaufhäuser wollen ihre Türen auch am Sonntag offen halten, weil dann an sieben Tagen in der Woche die Kassen klingeln und nicht nur an sechs Tagen. Es wird einfach nicht mehr die Notwendigkeit eingesehen, dass es einen allgemeinen Ruhetag in unserer Gesellschaft geben soll. Das muss doch jeder selbst wissen, ob er Ruhe braucht und jede Woche einen Ruhetag will, oder ob er einmal im Monat mit einem Kurzurlaub zurecht kommt: Vier Wochen Arbeiten, anschließend acht Tage frei. Das muss doch jeder selbst wissen, wie seine Bedürfnisse sind.
Jesus verteidigt seine Jünger gegen ein Gesetz, das nicht den Menschen im Mittelpunkt hat, sondern um des Gesetzes willen durchgesetzt werden soll. Ein Gesetz, das sehr den Anschein von Rechthaberei erfüllt. Wie ein guter Anwalt weist Jesus auf einen Präzedenzfall für das Jüngerverhalten hin und wirft den Pharisäern Schriftunkenntnis und Schiftunverständnis vor. Sie lesen die Schrift so, als sei der Mensch für den Sabbat geschaffen. Aber es ist umgekehrt, der Sabbat ist für den Menschen geschaffen und hat somit nicht bestimmende, sondern dienende Funktion.
Der Sabbat dient dem Menschen, darum ist es nicht gleichgültig, wie der Mensch den Sabbat verbringt, was er an dem von Gott geschenkten freien Tag tut und lässt. Der Sabbat ist Gottes Geschenk an uns. Gott hat es so eingerichtet, dass nach Tagen der Arbeit Zeit der Ruhe ist. Der christliche Sonntag, der seinen Ursprung im jüdischen Sabbat hat, unterbricht die Kette der Schlussfolgerungen und Sachzwänge, die Fließbänder der Produktionsoptimierung und ermöglicht Nachdenken, Berichtigung und Neuanfang. Es ist Pause. Ich denke wir Menschen brauchen so eine gemeinsame Pause, ein gemeinsames Nachdenken, sich besinnen auf das, was in unserem Leben trägt. Wir brauchen es, dass wir Zeit füreinander haben, Gemeinschaft leben können. An diesem Tag der Pause brauchen wir nicht die Ablenkung durch den Konsum und die Betriebsamkeit, der wir die ganze Woche und alle anderen Tage unseres Lebens ausgesetzt sind. Einen Tag in der Woche, der Ruhe signalisiert, der nicht wie alle Tage ist. Einen Tag in der Woche, wo das Leben den Atem anhält, zur Besinnung kommt, abschließt was gewesen ist und erst am nächsten Tag neu beginnt – eine neue Woche, neue Herausforderungen, neue Aufgaben.
Gottes Geschenk
Gott hat das Geschenk seines Ruhetages nicht in das Belieben der Menschen gestellt. Er weiß, dass der Mensch nach sechs Tagen diesen Ruhetag braucht. Er hat es so eingerichtet, dass der Mensch um psychisch und physisch gesund zu bleiben diesen Rhythmus von Arbeit und Ruhe braucht. Gott hat den Menschen so geschaffen, dass er die menschliche Gemeinschaft braucht um stabil und tragfähig zu bleiben, Tage gemeinsamer Feier und Freizeit, Menschen, um menschlich zu bleiben. Den Sonntag zu feiern ist Ausdruck der Freiheit des Menschen. Gott will nicht, dass wir Sklaven unserer Arbeit sind. Auch nicht die Sklaven der Wirtschaft und des wirtschaftlichen Erfolges, der Maschinenlaufzeiten und der klingenden Kaufhaufkassen.
Der Sabbat ist aus der Verfügbarkeit des Menschen herausgenommen, weil er von Gott geschaffen und geschenkt ist. Gott hat es nicht so eingerichtet, dass jeder Mensch seinen Ruhetag nimmt, wie er es möchte. „Sechs Tage sollst du arbeiten; am siebenten Tage sollst du ruhen, auch in der Zeit des Pflügens und des Erntens.“[3] Gott will, dass wir alle eine gemeinsame Zeit der Ruhe einhalten, damit es wirklich ein Ruhetag wird, der sich aus dem Getriebe der Woche heraushebt und einen ganz anderen Schwerpunkt hat.
Heute erstickt der Sabbat, bzw. der Sonntag nicht an festgelegten Verhaltensregeln, sondern er verliert seine Konturen, weil solche Regeln nicht mehr für nötig erachtet werden. Es geht nicht darum ein neues Regelkorsett für den Sonntag zu erschaffen. Das kann angesichts der religiösen Vielfalt unserer Gesellschaft gar nicht gelingen und muss auch nicht versucht werden. Solche Regeln vermögen den Sonntag nicht zu schützen. Jeder muss selbst wissen, wie seine persönliche Verbindlichkeit aussieht.
Wenn Christen den Sonntag so feiern, wie ihn Gott den Menschen geschenkt hat, provozieren sie heutige Zeitgenossen. Eine Sonntagspraxis, die auf persönlicher Verbindlichkeit beruht, strahlt aus und wirkt auf die Umwelt. Wer auf die Freiheit verzichtet am Sonntag zu arbeiten und einzukaufen, erlebt die Freiheit auszusteigen aus der Gleichförmigkeit der Tage und er kann neue Anfänge setzen. Wer hingegen jeden Sonntag durcharbeitet, wer den Sonntag zu einem normalen Handelstag machen möchte, zerstört diese Erlebnismöglichkeiten.
Leben, einfach nur leben
Der 1980 verstorbene jüdische Psychologe und Professor für Psychoanalyse Erich Fromm schreibt: „Am Sabbat lebt der Mensch, als hätte er nichts, als verfolgte er kein Ziel außer zu sein, das heißt seine wesentlichen Kräfte auszuüben - beten, studieren, essen, trinken, singen, lieben. Der Sabbat ist ein Tag der Freude, weil der Mensch an diesem Tag ganz er selbst ist. Das ist der Grund, warum der Talmud den Sabbat die Vorwegnahme der Messianischen Zeit nennt und die Messianische Zeit den nie endenden Sabbat; der Tag, an dem Besitz und Geld ebenso tabu sind wie Kummer und Traurigkeit, ein Tag, an dem die Zeit besiegt ist und ausschließlich das Sein herrscht."
Der Sabbat soll uns zeigen was Leben ist. Was brauchen wir? Die Ähren und das Brot - und die Freiheit und die Hoffnung. Amen.
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